Castorfs Abtransport

Gestern hat der Deutsche Gewerkschaftsbund den Ruhrfestspiele-Leiter Frank Castorf endgültig aus dem Amt gelobt: Künstlerisch schätze man ihn – als Festival-Manager aber eher nicht

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Ausgerechnet Berlin. Ausgerechnet dort, wo Frank Castorf die früher als kompliziert geltende Volksbühne salonfähig gemacht hat, wurde er gestern aus dem Amt als Leiter der Ruhrfestspiele Recklinghausen gelobt. Ende vergangener Woche hieß es noch lapidar, man wolle bei der außerordentlichen Sitzung am Montag bloß einen neuen Kurs für die Spiele bestimmen. Sehr schnell aber war das eigentliche Motto der Sitzung klar. Es lautete: Castorf feuern – und zwar schnell!

„Das Experiment der Neuausrichtung der Ruhrfestspiele ist mit Frank Castorf als Festivalleiter gescheitert.“ So steht es in einer Erklärung, die gestern von der Stadt Recklinghausen und dem Deutschen Gewerkschaftsbund publiziert wurde. Für das so genannte Experiment hätte Castorf eigentlich bis ins Jahr 2007 Zeit gehabt. Bis dahin sollte der Theatermacher das zuletzt immer greiser werdende Ruhrfestspielchen in die Moderne und so zu einem jüngeren Publikum führen. Doch Castorfs Weg missfiel der schwarzen Stadtspitze von Anfang an – bis gestern. Da erklärte Recklinghausens Oberbürgermeister Wolfgang Pantförder (CDU), dass die Ruhrfestspiele ausdrücklich die künstlerische Arbeit von Castorf würdigten. Nur die Professionalität im Festival-Management hätten sie vermisst. Anfang Mai, als Castorf die Spiele gerade mit seinem Stück „Gier nach Gold“ eröffnete, hatte Pantförder noch genau das kritisiert, was er nun angeblich zu schätzen weiß: Castorfs künstlerische Linie. Der Festspielleiter solle, so Pantförder damals, das traditionelle Publikum nicht vertreiben. Doch gerade das blieb dem Festspielhaus in diesem Jahr fern. Insbesondere die Ehrenkarten für Gewerkschafter verstaubten in den Kassenhäuschen.

Mit einem Minus von rund 700.000 Euro sei die Gesellschaft „hart an die Grenze der Insolvenz geraten“, betonte Pantförder gestern in Berlin. Und Ingrid Sehrbrock, die verantwortliche Dame im Vorstand des DGB, fügte hinzu: Man habe nicht mit einem derartigen Besucher-Rückgang gerechnet. Es habe schlicht nicht gereicht, das Volksbühnen-Konzept von Ost nach West zu exportieren und damit, wie es wiederum Pantförder formulierte, ein „Nischenprogramm“ anzubieten.

Die Erklärungsbäche, die Sehrbrock und Pantförder in ihrem Papier entspringen lassen, hatten sie wahrscheinlich schon lange im Computer. Die außerordentliche Sitzung, die angeblich einige Berliner Nachstunden gedauert haben soll, war nur noch Formsache. Obwohl: Ganz so genau ging es doch nicht vonstatten. Denn weder Castorf noch Gerard Mortier, der aus Protest zurück getretene Intendant der Spiele, noch NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) hatten der Sitzung beigewohnt. Nach Informationen der taz soll auch Pantförder erst gestern Morgen in die Hauptstadt gepilgert sein. Die Entscheidung war also, so sieht es zumindest aus, ein Alleingang des DGB – jener Menschen also, die Castorf einst verpflichtet hatten.

Vesper bedauerte die Entscheidung gestern sehr. Vor allem deshalb, weil das der Entscheidung voraus gegangene Verfahren, so Vesper, „absolut inakzeptabel“ sei. „Der DGB und die Stadt Recklinghausen haben damit die Chance vertan, gemeinsam mit Castorf und dem designierten Ruhrfestspiel-Intendanten Jürgen Flimm die nötigen und möglichen Veränderungen wirksam anzugehen“, erklärte Vesper. Womit eine Frage angedeutet wäre, die sich nun unweigerlich aufdrängt: Wie geht es weiter? Jürgen Flimm, der eigentlich Ende Juli die Intendanz der Spiele hätte übernehmen sollen, kündigte bereits an, er sei kein „Ruinenbaumeister“ und zögere deshalb stark, ob er überhaupt in Recklinghausen arbeiten solle. Keinesfalls, so viel ist sicher, will Flimm die Ruhrfestspiele programmatisch betreuen. Der DGB wird also auf die Suche gehen. Vielleicht wieder in der hippen Hauptstadt, wo Frank Castorf... – ausgerechnet Berlin.