Das Farbspiel des Zackenbarschs

José Durão Barroso, der designierte Nachfolger von Romano Prodi, war selbst in Portugal nie erste Wahl. Auch in Europa ist er konturlos geblieben

AUS MADRID HANS-GÜNTER KELLNER

So richtig auf der Rechnung hatte José Durão Barroso noch nie jemand. Zumindest startete er auch diesmal nicht als der große Favorit in das Rennen um die Nachfolge des Amts von Romano Prodi. Klangvolle Namen waren da in der Runde, wie der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt und EU-Außenkommissar Chris Patten, die sich am Ende gegenseitig neutralisierten. Und die Kandidatur des spanischen EU-Beauftragten für Außenpolitik, Javier Solana, unterstützte selbst das eigene Land nicht sehr überzeugt. So wird nun voraussichtlich der portugiesische Premier heute von den EU-Staatschefs als künftiger EU-Kommissionschef benannt.

So war es bei Barroso schon immer. Als er 1999 zum Vorsitzenden der schon jahrelang in der Opposition glücklos agierenden konservativen Sozialdemokratischen Partei (PSD) gewählt wurde, enthielten sich ein Drittel der Delegierten. Man wusste kaum, was man von dem heute 48-jährigen dreifachen Familienvater zu halten hatte. Er war zwischen 1974 und 1977 Mitglied der maoistischen Splittergruppe MRPP, trat aber später den Sozialdemokraten bei, wo er seit 1985 Karriere im Außenministerium machte, zunächst als Staatssekretär, später als Außenminister. Aber den Ruf des Opportunisten wurde er nicht los. Unzufriedene Parteifreunde warfen ihm Führungsschwäche vor, er würde immer nur abwägen und keine Entscheidungen treffen, hieß es.

Auch vor zwei Jahren rechnete man nicht so richtig mit ihm. Die damals regierenden Sozialisten befanden sich zwar in der Krise, doch dass die Wähler dem damaligen Regierungschef António Guterres eine derartige Ohrfeige verpassen und somit Barroso zum deutlichen Gewinn der Kommunal- und später der Parlamentswahlen verhelfen würden, hatten die Meinungsforscher nicht vorausgesehen. Ebenso überrascht war man in Portugal darüber, wie schnell Barrosos Regierung in die Krise geraten könnte. Bei den jüngsten Europawahlen kamen Sozialisten und Kommunisten auf zusammen mehr als die Hälfte der Stimmen, die gemeinsam angetretenen Sozialdemokraten und die Volkspartei erreichten nur noch 33 Prozent.

Seit der Wahlniederlage wackelte der Stuhl von Barroso wieder. Er hat seinem Land einen rigorosen Sparkurs verordnet – und das mitten in der Rezession. Grund ist der EU-Stabilitätspakt, den Portugal 2001 weit verfehlt hatte. Die Mehrwertsteuer wurde auf 19 Prozent erhöht, sogar die ausstehenden Forderungen der Finanzämter und der Sozialversicherung wurden an eine Bank abgetreten. So sank das Haushaltsdefizit zwar von 4,4 Prozent in 2001 auf heute 2,8 Prozent, doch an der prekären wirtschaftlichen Lage hat sich nichts geändert. Im letzten Jahr war das Wachstum erneut negativ.

Trotzdem wird Barroso seinem Ruf als angepasstem Verhandler auch in der Frage des Stabilitätspakts gerecht. „Zu Hause verteidigt er weiter den Sparkurs, in Brüssel stimmt er jedoch für eine Amnestie für die Schuldensünder Deutschland und Frankreich“, urteilt die Opposition.

„Das Charisma kommt mit der Verantwortung“, hatte Barroso einmal seinen Kritikern entgegnet. Dabei verwies er auf den langjährigen spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar. Doch obwohl Barroso seinem Vorbild Aznar von der neoliberalen Wirtschaftspolitik bis hin zur Befürwortung des Irakkriegs überallhin folgte – bei einem Treffen von Bush, Blair und Aznar auf den Azoren gab er sogar den Gastgeber –, blieb er der blasse portugiesische Politiker, der er immer war. Sogar seine Frau Margarida Sousa Uva vergleicht ihn mit einem Zackenbarsch. Weniger wegen dessen großen Mauls, sondern wegen der Fähigkeit, häufig die Farbe zu wechseln. So ist der Fisch auch unter Portugals Karikaturisten zum Symbol für den Ministerpräsidenten geworden.

Was Barroso von Aznar unterscheidet, ist der Mut, unpopuläre Entscheidungen lauthals zu verteidigen. Er bedeutete schließlich den politischen Niedergang des Spaniers. Die konturlose Farblosigkeit hilft Barroso dagegen noch heute. Im Gegensatz zum Belgier Verhofstadt, der als eingefleischter Föderalist galt, und zu Chris Patten, der als Brite eher als Befürworter eines Europas als Staatenunion gilt, ist Barrosos Haltung zu Europa kaum definiert. Ihn qualifiziert anderes: Als Portugiese ist er für die vielen kleinen EU-Staaten, die ein von Deutschland und Frankreich beherrschtes Europa fürchten, akzeptabel. Seine Partei gehört der konservativen EVP an, der größten Fraktion im Europa-Parlament. Und er ist weder der Kandidat Deutschlands und Frankreichs noch der Großbritanniens.

In Europa fordert Barroso höhere Militärausgaben und ein besseres Verhältnis zu den Vereinigten Staaten. Die portugiesische Zeitung O Público schrieb gestern, es sei weithin bekannt, „dass Barroso von den Vorteilen eines tendenziell föderalen Europas überzeugt sei“, die Interessen der kleinen Staaten aber gewährleistet sehen will. Ein überzeugter Europäer ist mit solchen vagen Formulierungen nicht beschrieben. Eher jemand, der sich geschickt durchlaviert und nicht aneckt. So ist die Entscheidung der EU-Regierungschefs auf Barroso als Kandidaten für die Prodi-Nachfolge nur logisch. Sein Bild von einem unentschlossenen und profillosen Politiker entspricht dem, das auch die Europäische Union abgibt.