„Der Vogel geht jetzt auf alles“

Zwischen Brandenburgs Fischern und Naturschützern tobt ein Kulturkampf um den Kormoran. Die Reusen sind leer, weil der Räuber aus der Luft alles wegfrisst. Das macht die Fischer sauer und noch mehr, dass sie von der Politik keine Hilfe kriegen

VON JAN STERNBERG

Manfred Mellack flucht leise. Auch die vierte Reuse an diesem Morgen enthält nur ein paar fingerlange Weißfische und winzige Flusskrebse. Keinen Aal. Keinen Zander oder Hecht. „Wieder nüscht Verwertbares“, grummelt der 50-jährige Fischer aus Blossin, 30 Kilometer südöstlich von Berlin. 21 Reusen hat Manfred Mellack im und um den Wolziger See aufgestellt. Die Bilanz einer zweistündigen Erntefahrt mit seinem Fischerkahn gestern Morgen: ernüchternd. Fünf, sechs Aale und ein Karpfen von zirka sechs Kilo. Ein Glückstreffer. Die kleinen Bleie und Plötzen wirft Manfred Mellack wieder in den See. „Das ganze Jahr haben wir noch keinen Zander gefischt, kaum Hechte und höchstens halb so viel Aal wie in den vergangenen Jahren.“

Manfred Mellack glaubt den Schuldigen für seine Fisch-Flaute zu kennen: den Kormoran. Ein Schwarm von schätzungsweise 800 Tieren dümpelt auf den Wellen auf der anderen Seeseite. Wie jeden Morgen. 400 bis 500 Gramm Fisch verputzt ein Kormoran pro Tag. Die Vögel jagen in Formation, treiben die Fische im Halbkreis im flachen Wasser vor sich her. Besonders gerne mögen sie Aal. Der lässt sich leichter verdauen. „Aber weil es kaum noch Aal gibt, geht der Kormoran auf alles“, schimpft Mellack. Nur noch ganz kleine und wenige große Fische verfangen sich in seinen Reusen. „Dazwischen gibt es nichts mehr.“

Seit 1993 betreibt Manfred Mellack die Fischerei am Wolziger See. Zur gleichen Zeit kam der Kormoran an die brandenburgischen Seen zurück. Im 19. Jahrhundert fast ausgerottet, zu DDR-Zeiten nur vereinzelt vorhanden, nisten heute einige tausend Paare in drei großen und mehreren kleinen Brutkolonien. Die Naturschützer jubeln. Die Fischer wüten. Am Alten Wochowsee, zehn Kilometer Luftlinie von Manfred Mellacks Reusen entfernt, wurden dieses Jahr 665 Kormoran-Brutpaare gezählt. 160 mehr als im vergangenen Jahr, die größte Kolonie im Land. Der Kormoran fühlt sich wohl.

Und das, obwohl seit 1999 landesweit zirka 2.000 der schwarz gefiederten Vögel vom Himmel geholt wurden. Laut Kormoran-Verordnung dürfen die Fischer dem eigentlich streng geschützten Tier zu Leibe rücken. Mit Laserkanonen sollten die Vögel „vergrämt“ werden, und auch konventionelle Schrotladungen jagte man ihnen hinterher. Genützt hat es nichts.

Nun aber hat die Politik den schwarz gefiederten Vogel entdeckt. In Brandenburg ist Landtagswahlkampf. Im September wird gewählt. Berufsfischer wie Manfred Mellack gibt es zwar nur ein paar dutzend, doch im Land leben 100.000 Freizeitangler. Die mögen den Kormoran auch nicht. Vor kurzem hat Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) einen offenen Brief der Fischerei- und Anglerverbände erhalten. Sie fordern „Eingriffsregelungen zur durchgreifenden Bestandsreduzierung in Schutzgebieten“.

Noch streiten die Experten über die Methoden. Während der Abschuss von Jungtieren als unethisch zurückgewiesen wird, ist nach Informationen aus dem brandenburgischen Umwelt- und Agrarministerium eine Zerstörung der Nester durch Wasserstrahlen und ein Verscheuchen der brütenden Tiere wohl in der engeren Wahl.

Manfred Mellack setzt keine großen Hoffnungen in die Politik. Besonders ärgert ihn, dass die von den Fischern geforderten Entschädigungen rundweg abgelehnt wurden. „Brandenburg hat kein Geld, sagen die. Aber wir schmeißen hier Futter rein für die Kormorane. Das sollen die Naturschützer ruhig mal selbst bezahlen.“ Einige hundert Jungaale, 200 Kilo insgesamt, wird er diese Woche im See aussetzen. Das muss er tun, weil der Aal auf natürlichem Weg nicht mehr in die Seen kommt. Zwar zahlt das Land bereits die Hälfte der Kosten von knapp 3.000 Euro, doch Mellack reicht das nicht. Seit Jahren erntet er gerade mal so viel Aal, wie er jährlich aussetzt. „Jeder Bauer würde bei dieser Quote aufgeben.“

Tom Kirschey kennt die Wut der Fischer. Der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) spricht von „Argumenten aus dem vorletzten Jahrhundert“. Damals rottete man die Kormoran-Kolonien mithilfe der Armee aus. Kirschey fragt: „Warum sollen nur die Menschen den Fisch bekommen? Der Vogel hat genauso ein Recht, hier zu leben.“ Überhaupt richteten die Vögel weit weniger Schaden an, als die Fischer behaupteten. Die müssten erst einmal einen „qualifizierten Schadensnachweis“ vorlegen. Der Kormoran würde ohne wirkliche Beweise zum Sündenbock gestempelt. „Wir werden gegen jede Beeinträchtigung einer Kolonie vorgehen“, kündigt Kirschey an.

Der Kulturkampf um den Kormoran geht hinter verschlossenen Ministeriums-Türen weiter. Manfred Mellack ist skeptisch. Er schimpft auf „die Grünen“ und meint damit nicht nur die Partei, sondern auch Brandenburgs amtliche Naturschützer. Die hätten den Vogel erst hochkommen lassen. Kürzlich hat man ihn im Ministerium um Rat gefragt. Aber darum sollen die sich gefälligst selber kümmern. „In der DDR hatten wir Artenvielfalt“, sagt er noch. „Heute haben wir den Kormoran und den Waschbären.“