Erlaubt Bremen bald Zwangsmedikation?

Prozess gegen Susanne K. beendet: Gericht fordert mehr Sensibilität des Staates im Umgang mit psychisch Kranken

Bremen taz ■ Das Bremer Landgericht hat gestern erwartungsgemäß die dauerhafte Unterbringung von Susanne K. in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Frau hatte im Juli 2003 eine 25-jährige Studentin in der Neustadt mit 39 Messerstichen getötet – und zwar „im Zustand der blühenden Schizophrenie“, wie der Vorsitzende Richter Harald Schmacke das forensische Gutachten (taz berichtete) noch einmal knapp zusammenfasste. „Für das, was Frau K. getan hat, können wir sie strafrechtlich nicht zur Verantwortung ziehen.“

„Wenn man von Staats wegen sensibler gewesen wäre, wäre das Ganze nicht passiert“, sagte Richter Schmacke, der die viertägige Verhandlung souverän und mit sehr viel Feingefühl leitete. Schmacke wollte mit dieser These nicht in erster Linie den Polizisten kritisieren, der im Revier Neustadt eine Anzeige des späteren Opfers gegen Susanne K. entgegengenommen hatte, ohne die junge Frau über die Gefährlichkeit ihrer Nachbarin aufzuklären. „Dieser kleine Polizeibeamte aus dem mittleren Dienst ist das letzte Glied in der Kette“, so der Richter.

Schmacke sprach vielmehr von teilweise „lückenhaften und verfehlten Regelungen“ – die Einstellung des Gesetzgebers gegenüber psychisch Kranken müsse „sehr stark überdacht werden“. Nur wenige Tage vor der Bluttat hatte das Bremer Amtsgericht die Betreuung von Susanne K. auf deren Antrag hin aufgehoben – entgegen dem dringenden Rat eines psychiatrischen Facharztes. „Das muss ich nicht weiter kommentieren“, so Schmacke bitter.

Bei psychisch Kranken, die sich als sehr gefährlich erwiesen hätten, müsse man auch die Möglichkeit der Zwangsmedikation gegen den Willen der Patienten erwägen, zur Not sogar eine zwangsweise stationäre Einlieferung. „Frau K. ist seit Jahren mit Messern herumgelaufen und hat diese auch eingesetzt“, sagte der Richter. Ein derart kranker Mensch müsse „auch vor sich selbst geschützt werden“.

Natürlich denke niemand daran, psychisch kranke Menschen generell „zu erfassen und zwangszubehandeln“. Aber es sei eben für die Gerichte auch nicht damit getan, irgendwelche „Berichte von Betreuern entgegenzunehmen“. „Der Staat muss eingreifen, bevor etwas passiert“, forderte Schmacke. „Das Ergebnis von Straftaten muss man nicht erst abwarten.“

Abschließend verwies der Richter darauf, dass der Bremer Senat derzeit an einer diesbezüglichen Änderung des „Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten“ (PsychKG) werkele. Vermutlich im Herbst soll in der Bürgerschaft über die Gesetzesnovelle entschieden werden. jox