Der Präsident hat das große Wort

Mädchen und Jungen lernen in Alexandria, wie Politik gemacht wird – ohne Parteien

ALEXANDRIA taz ■ Der Parlamentspräsident an diesem Abend heißt Ahmad al-Sayed Mustafa und ist siebzehn Jahre alt. Neben ihm auf dem Podium im Raum eines Sportclubs sitzen sein gleichaltriger Vize Ahmad Hamdi Hassan sowie seine Stellvertreterin Elham Mohammed Hassan. Hinter dem Podium hängen das Bild des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und die Staatsflagge. Links daneben steht ein weiteres Mikro für die jungen Parlamentarier. An der Decke hängt ein Fernseher, der das Geschehen live „überträgt“.

Das „Kinderparlament“ der nordägyptischen Stadt Alexandria ist zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Grund: Eine Journalistengruppe des deutschen Jugendpresseclubs ist in der Stadt. Etwa 70 Jungen und Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren haben an ihrem freien Tag den Weg hierher gefunden und sitzen dicht gedrängt auf Holzstühlen.

Die Sitzung beginnt mit einem „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes“ sowie einer Grußadresse an den Minister für Jugend, Ali al-Dean Hillal, und den Präsidenten. Nach drei Fragen aus dem Publikum schmeißt Parlamentspräsident Ahmad den Laden – wie in Kairo der ägyptische Parlamentspräsident Fathi Suhur. Wie dieser muss auch Ahmad seine Abgeordneten immer wieder zur Ordnung rufen muss – sie langweilen sich sichtlich, quatschen, kichern. Auch sonst hat Ahmad den Berufspolitikern schon einiges abgeguckt. Auf die mehrfache Frage der Delegation, womit sich das Kinderparlament denn befasse, sagt er in Variationen: „Die Probleme werden diskutiert, weitergeleitet und gelöst.“

Schließlich begreift Elham, die mit ihrem grünen Kopftuch fast hinter dem Podium verschwindet, was die Gäste wissen möchten. Sie präsentiert eine zusammengeheftete Fotodokumentation über den Ort Khorschidi außerhalb Alexandrias. Dort habe eine Keramikfabrik ihre Abwässer in eine nicht befestigte Straße geleitet, erklärt sie, und die Abgase hätten die Luft verpestet. Die Fotos zeigen eine schlammige Straße mit großen Pfützen, offenen Abwassergräben und spielenden Kindern. „Die Fabriken haben oft keine richtigen Lizenen“, erläutert Elham. Nach einer Eingabe bei den zuständigen Stellen der Stadtregierung seien Abwasserleitungen gelegt und die Straße asphaltiert worden; die Fabrik habe Auflagen erhalten. Auch das belegt die Fotodokumentation. „In drei bis vier Monaten war das Problem gelöst.“

Ein Erfolg für das Kinderparlament, das, wie im wirklichen Leben, Kommissionen eingerichtet hat. Die befassen sich unter anderem mit Umwelt, Bildung, Entwicklung oder Teilnahme am politischen Leben befassen. Und das größte Problem der Kinder? „Gott sei dank gibt es keine großen Probleme“, sagt Parlamentspräsident Ahmad. „Der Gouverneur wird geliebt, weil er alle Probleme löst.“

Die Kinderparlamente gelten als eines der Projekte von Präsidentensohn Gamal Mubarak. Im vergangenen Jahr wurde kurzzeitig darüber spekuliert, ob er die Nachfolge seines Vaters antreten werde. Gegenwärtig liegt das wieder auf Eis. Der vielgelobten Jugendminister Hillal, ehemaliger Dekan für Politikwissenschaft an der Kairoer Universität, gilt als Gefolgsmann von Gamal. Er steht für eien vorsichtige Demokratisierung des Landes.

Dennoch spielt Parteipolitik im Kinderparlament keine Rolle. „Wir haben mit Parteien nichts zu tun, da wir unter 18 sind“, erklärt Ahmad. „Erst dann kann man wählen und in Parteien eintreten.“ An die Kinderparlamente, die es im ganzen Land gibt, werden sich künftig Jugendparlamente anschließen – bis zum Alter von 36, wenn Frau oder Mann selbst bei Wahlen kandidieren kann. BEATE SEEL