„Wir müssen selbst etwas tun“

Auch in Norddeutschland stecken die Milchbauern in der Krise: Weil sie beim Verkauf nicht mehr auf ihre Kosten kommen, haben sie sich organisiert. Der Preisdruck seitens großer Abnehmer besteht weiter. Höfesterben droht

aus Neubörm Timm Schröder

Zu einem Milchbauern sollte es gehen, weil die Milchbauern zurzeit tief in der Krise stecken. Sie verkaufen ihre Milch für 25 Cent pro Liter, die Produktionskosten aber, also die Kosten für Futter, Maschinen, Wasser und Diesel, sind mit diesem Verkaufspreis nicht mehr gedeckt. Mindestens 35 Cent pro Liter müssten die Milchbauern verdienen, um kostendeckend zu arbeiten. Statt dessen aber setzen sie pro Liter zehn Cent zu, Tag für Tag, Woche für Woche.

Also fährt man zu einem wie Achim Schoof, der Milchbauer ist im Dörfchen Neubörm in der Nähe der Kleinstadt Schleswig im Norden Schleswig-Holsteins. 120 Milchkühe hat Schoof im Stall stehen, die im Jahr rund eine Million Liter Milch geben. Und wenn Schoof pro Liter zehn Cent Verlust macht, dann hat er am Ende des Jahres ein Minus von rund 10.000 Euro in der Kasse. Und damit Grund genug, sich zu beklagen. Schoof aber klagt nicht. „Ich will nicht jammern“, sagt er. Was verwunderlich ist.

Denn Schoof arbeitet hart. Steht jeden morgen um sechs Uhr auf, geht raus in den Stall, melkt die Kühe, macht den Stallboden sauber, füttert die Tiere. Nach dem Frühstück geht er, wenn gerade Erntezeit ist, raus auf Feld. Rund 140 Hektar Land hat Schoof, das kostet viel Zeit. Sonst müssen Zäune ausgebessert, der Trecker repariert oder die Büroarbeit erledigt werden. „Zehn Stunden hat mein Arbeitstag immer“, sagt Schoof. Für ihn ist jeder Tag des Jahres ein Arbeitstag. „Kühe machen keinen Urlaub“, sie geben jeden Tag Milch. Also muss auch Schoof jeden Tag da sein. Und hat am Ende des Jahres Minus in der Kasse.

Trotzdem aber klagt er nicht, sondern tut lieber etwas gegen den Verlust, den er da Tag für Tag erarbeitet. Zum Beispiel, indem er sich im Privatleben einschränkt: sein Auto ist 13 Jahre alt, neue Möbel gibt es erstmal nicht. Und auch im Betrieb steckt Schoof zurück: So manche seiner Maschinen sind schon über zehn Jahre alt, und als die Wasserversorgung der Tiere über das Leitungsnetz zu teuer wurde, hat sich Schoof einen eigenen Brunnen gegraben. „Irgendwann aber kann ich nicht mehr sparen“, sagt der Milchwirt. Deshalb hat er sich entschlossen, etwas gegen den niedrigen Milchpreis zu tun.

Da passte es ganz gut, als im Februar der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter Nord gegründet wurde. Mehr als 2.000 Mitglieder mit einer Milchproduktion von 1,2 Milliarden Litern gehören ihm an. Sie kommen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, und Schoof ist Vorsitzender der Milchbauern im nördlichsten Bundesland. Ziel des Verbandes ist es, den Milchpreisverfall zu stoppen, der bei den Milchbauern für viel Unzufriedenheit gesorgt hat.

Ablesen lässt sich das an der Zahl der Neumitglieder: Seit der Verband gegründet wurde, sind 600 Landwirte eingetreten. Das sind immerhin zehn Prozent der Milchbauern in Schleswig-Holstein. „Mit dem Preisverfall steigt die Solidarität“, hat Schoof auf den Veranstaltungen des Verbandes festgestellt.

Mit dem Verband bildet sich nun so etwas wie eine Lobby der Milchbauern gegenüber den Molkereien, die Schoof als „Hauptverantwortliche“ für den Preisverfall ausgemacht hat. „Die widersetzen sich dem Druck der Lebensmittel-Discounter nicht“, meint Schoof. Noch immer könnten Discounter-Ketten wie Aldi, Penny oder Lidl die Preise für Milch diktieren.

Das Prinzip dabei ist ganz einfach: Die großen Discounter schreiben Lieferaufträge über Millionen von Litern Milch aus, und die Meiereien treten in den Preiskampf untereinander ein. Die Molkerei mit dem niedrigsten Angebot bekommt dann den Zuschlag. Die Crux bei der Sache ist, dass die Molkereien dann den Preisdruck an die Landwirte weitergeben – und die müssen sehen, wie sie auf ihre Produktionskosten kommen.

Für einen Ausweg aus dieser Preisspirale kämpft nun der Bundesverband der Milchviehhalter, der eine eigene Vermarktungsgesellschaft gründen will. „Schließlich haben wir ein Super-Produkt“, sagt Schoof und verweist darauf, dass es in der Milchwirtschaft – im Gegensatz etwa zu den BSE-Schwierigkeiten beim Fleisch – seit Jahrzehnten keine Skandale gegeben hat. Die Vermarktungsgesellschaft soll dafür sorgen, dass die Landwirte mindestens 10 Cent mehr pro Liter erlösen.

„Das funktioniert aber nur, wenn alle Milchbauern mitmachen“, sagte Schoof. Auf Unterstützung aus der Politik baut der Landwirt nicht: „Wir können bei Problemen nicht nach der Politik rufen, sondern müssen selbst etwas tun.“ Sollte die Idee der Vermarktungsgesellschaft nicht funktionieren, fürchtet Schoof ein „Höfesterben“: Viele seiner Kollegen, gerade die Älteren, resignieren schon jetzt, und Nachfolger sind für den Full-Time-Job Milchbauer nur schwer zu finden. Schon im vergangenen Jahr haben deshalb rund fünf Prozent der Milchproduzenten in Schleswig-Holstein aufgegeben. „Die sehen keine Zukunft mehr“, sagt Schoof.

Dass die Vermarktungsgesellschaft ein Ausweg aus der Krise sein könnte, zeigt ein Beispiel aus dem nördlichen Nachbarland Dänemark. Als dort der größte deutsche Lebensmitteldiscounter die Milchpreise drücken wollte, stellte sich die Molkereigenossenschaft quer. „Zu solchen Preisen liefern wir nicht“, entschied die Geschäftsführung der dänischen Meierei, die ihren Landwirten immerhin 30 Cent pro Liter zahlt.

Ein gutes Ende nahm die Geschichte trotzdem nicht: Der Discounter fand doch noch eine Molkerei, die das Preisdumping mitmachte: Es ist die Meierei Witzwort an der Westküste Schleswig-Holsteins.