Befreiungschlag geht nach hinten los

Die US-Regierung will mit der Veröffentlichung von Dokumenten Foltervorwürfe entkräften. Doch Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erlaubte in Guantánamo zeitweise erniedrigende Verhörmethoden. Von Abu Ghraib ist nicht die Rede

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Als Reaktion auf die sich ausweitende Folteraffäre hat das Weiße Haus am Dienstag geheime interne Dokumente über den Umgang mit Gefangenen in Afghanistan und auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo in Kuba veröffentlicht.

Die US-Regierung sah sich zu dem außergewöhnlichen Schritt gezwungen, nachdem vor zwei Wochen Briefe und Memoranden zwischen Anwälten und Ministern im Justiz- und Verteidigungsministerium an die Presse durchgesickert waren. Darin wurde darüber debattiert, ob und wie US-Gesetze und internationale Standards gegen Folter ausgehebelt werden können.

Eines der jetzt freigegebenen Dokumente wurde am 7. Februar 2002 von Präsident Bush unterzeichnet. Nach Angaben seines Rechtsberaters handelt es sich um die einzige Direktive des Präsidenten zum Umgang mit Gefangenen. In einer Notiz zu diesem Memo ordnet Bush an, die Gefangenen human und der Genfer Konvention gemäß zu behandeln. In einem anderen Papier vom 1. August 2002 gibt es jedoch Formulierungen, denen zufolge Bush das Recht zugebilligt worden sein soll, sich in Kriegszeiten über die Ächtung von Folter hinwegzusetzen.

In einer Anweisung vom 2. Dezember 2002 gestattete Pentagon-Chef Donald Rumsfeld erniedrigende Techniken wie völliges Entblößen, Bedrohen mit Hunden, Isolation, Kapuzentragen und stundenlanges Stehen – Praktiken, die später nach Protesten von Militäranwälten aufgehoben wurden. Rumsfeld fügte einem Memo vom November 2002 eine handschriftliche Notiz bei, in der er neue Verhörmethoden befürwortete.

In einer weiteren Anweisung vom 15. Januar 2003 fordert Rumsfeld allerdings, die Gefangenen „menschlich“ zu behandeln, „ganz gleich, welche Verhörmethode angewandt wird“. Im April 2003 legte er eine Liste mit 24 Verhörmethoden für Guantánamo vor. Dabei handelte es sich um psychologische Techniken. Rumsfeld wies jedoch an anderer Stelle Anfragen der Militärkommandeure von Guantánamo ab, in denen sie um Erlaubnis für „aggressive“ Befragungstechniken baten.

Keines der Dokumente behandelt den Umgang mit Häftlingen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib. Das Weiße Haus betont unermüdlich, dass zwischen ihnen und den Misshandlungen kein Zusammenhang bestehe. Dennoch zeigen die im April veröffentlichten Fotos aus Abu Ghraib genau jene vom Pentagon angeordneten Verhörpraktiken für Guantánamo. In die Schusslinie gerät neben Rumsfeld daher erneut dessen früherer Lagerkommandant Geoffrey Miller, der im Sommer 2003 mit der Leitung der irakischen Gefängnisse beauftragt wurde. Nach seinem Amtsantritt erließ General Ricardo Sanchez, Befehlshaber der US-Truppen im Irak, eine Richtlinie, die wiederum jene aggressiven Verhörmethoden erlaubt. „Die Verbindungslinie führt vom Pentagon zu Abu Ghraib, von dort zum Geheimdienst und zurück zum Pentagon“, schreibt Kolumnistin Anne Applebaum in der Washington Post.

Dass die Offenbarungsaktion den erhofften Befreiungsschlag bringen wird, ist unwahrscheinlich, denn die Dokumente belegen ein für die Regierung unangenehmes Muster: Statt unmissverständlich klarzustellen, dass Gefangene nach Recht und Gesetz behandelt werden, versuchte man im Namen des Antiterrorkampfs, geltende Normen aufzuweichen und auszutesten, wo die Grenzen von Folter liegen.

Das Rettungsargument der US-Regierung, viele Behandlungsmethoden von Häftlingen seien lediglich intern diskutiert worden und niemals zur Anwendung gekommen, ist durch Abu Ghraib widerlegt – unabhängig davon, ob es je eine direkte Befehlskette zu den Militärpolizisten gab oder diese, begünstigt durch die von der Regierung geschaffene Atmosphäre, im Bewusstsein handelten, dass Grenzüberschreitung „okay“ sei.

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