Von allen Guten verlassen

In Berlin behandeln geschulte Therapeuten ehemalige Kindersoldaten. Viel Zeit haben sie dafür nicht. Die Behörden schicken die Jugendlichen wieder in den Krieg – oft bevor diese volljährig sind

VON OLIVER TRENKAMP

Sie kommen meist aus afrikanischen Ländern wie Sierra Leone, Liberia, dem Kongo oder Uganda: Kindersoldaten. Sie sind Opfer und Täter zugleich und dadurch doppelt traumatisiert. In Berlin-Moabit beginnen jährlich etwa 50 dieser Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine speziell auf ihre Erfahrungen zugeschnittene Therapie.

Das Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) ist in der Turmstraße in einem weitläufigen Gebäudekomplex des früheren Krankenhauses Moabit zu Hause. Anlässlich des gestrigen Internationalen Tages zur Unterstützung von Folteropfern diskutierte die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), mit Therapeuten über ein Bleiberecht für ehemalige Kindersoldaten.

Kinder und Jugendliche, die in ihrem Herkunftsland an die Waffe gezwungen werden, machen sich oft jünger, um in Deutschland nicht in die Mühlen des Ausländerrechts zu geraten. Wer älter als 16 Jahre ist, kommt in das Asylverfahren. Über einen Schlüssel werden die Jugendliche auf ganz Deutschland verteilt und landen häufig in der tiefsten Provinz. Hier gibt es selten Therapieangebote für sie. „In Städten wie Berlin haben die Jugendlichen ein besseres Umfeld“, sagt die Psychotherapeutin Sabine Haversiek-Vogelsang vom Therapiezentrum bzfo. Hier könnten sie soziale Kontakte knüpfen, Beziehungen aufbauen und fänden mit etwas Glück Betreuungsangebote. Ihr Kollege Salah Ahmad ergänzt: „In Wohnheimen, die zwei Kilometer von jeder Zivilisation entfernt sind, gibt es das nicht.“ In einigen Fällen hätten sie über zweieinhalb Jahre dafür kämpfen müssen, bis traumatisierte ehemalige Kindersoldaten aus der Provinz zu ihnen gebracht wurden. Bzfo-Psychiater Ferdinand Haenel sagt: „Wir würden unsere therapeutische Potenz vervielfachen, wenn wir nicht häufig gegen Behörden arbeiten müssten.“

Die unter 16-Jährigen haben mehr Glück. Sie durchlaufen das „Clearingverfahren“, bekommen einen gesetzlichen Vormund, werden in Heimen oder Wohngruppen untergebracht und in die Schule geschickt. In Großstädten können sie besser aufgefangen werden als in Landgemeinden. In Berlin etwa finden sie gleichaltrige Leidensgenossen. Das größere Freizeitangebot hilft, sich abzulenken.

Damit ihre Probleme erkannt werden, brauchen die Jugendlichen eine große Portion Glück. Irgendein Erwachsener in ihrem Umfeld muss sensibel genug sein, um die schweren Probleme des Kindes zu erkennen. Die amtlichen Vormunde sind damit überfordert, denn sie betreuen jeweils rund 400 Kinder.

Die Kinder leben in permanenter Unsicherheit. Nach dem Ausländerrecht werden sie nur geduldet. Sobald sie 16 sind, greift das Asylverfahren. Die Abschiebung droht. In seltenen Fällen wird damit bis zum 18. Lebensjahr gewartet. Der Asylantrag wird selten positiv beschieden. Die Behörden wollen möglichst widerspruchsfreie Leidensgeschichten hören. Traumata führen aber häufig zu Gedächtnisverlust. Manche sprechen vor den Beamten überhaupt nicht über ihre Erfahrungen. „Die Betroffenen spüren, wenn sie von den Behörden nicht ernst genommen werden“, sagt Psychiater Haenel.

Für die Flüchtlingsbeauftragte Beck ist der ständige Kampf um Duldungstitel ein „Drama“. Mit dem Zuwanderungskompromiss soll dies beendet sein. Noch aber ist das Gesetz nicht beschlossen. Beck macht Hoffnung: „Es gibt den politischen Willen zum Ende der Kettenduldung.“