Lettlands eiserne Lady darf gewählt werden

Straßburger Gerichtshof: Ausschluss von früheren kommunistischen Funktionären bei Wahlen rechtswidrig

STOCKHOLM taz ■ Tatjana Zdanoka ist eine Frau, die in Lettland Kontroversen und Emotionen auslöst. Für die einen ist sie die „eiserne Lady der Opposition“, für die anderen eine Landesverräterin. Eine, der man deshalb zu Recht das passive Wahlrecht aberkannt hatte. Ende letzter Woche bekamen Zdanokas Kritiker und der Staat Lettland vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg nun aber eine klare Abfuhr. Es sei ein Verstoß gegen das Prinzip des allgemeinen Wahlrechts und der Vereinigungsfreiheit gewesen, das der populären Kämpferin der russischen Minderheit die Parlamentskandidatur verweigert wurde, urteilte das Gericht. Lettland wurde nicht nur zu Schadenersatz von rund 25.000 Euro verurteilt, es muss auch sein Wahlgesetz ändern, das ehemaligen Mitgliedern von KP und KGB die Wählbarkeit versagt.

Die 54-jährige Lettin mit russischer Mutter war 1971 in die „Kommunistische Partei Lettlands“ (KPL) eingetreten. 1990 war sie in den Obersten Sowjet der damaligen Sozialistischen Sowjetrepublik Lettland gewählt worden. Und sie hatte sich gegen die Unabhängigkeit Lettlands ausgesprochen. Der KPL war vorgeworfen worden, auch nach der Unabhängigkeitserklärung am 13. Januar 1991 an Plänen für einen gewaltsamen Putschversuch beteiligt gewesen zu sein. Am 10. September 1991 wurde die Partei verboten.

1993 wurde Zdanoka Vorsitzende einer „Bewegung für soziale Gerechtigkeit“, die sich später zur Partei „Lidztiesiba“ (Gleiches Recht) umbildete. 1997 war sie in den Stadtrat der Hauptstadt Riga gewählt worden, verlor dieses Mandat aber aufgrund eines neuen Gesetzes, welches das passive Wahlrecht allen Personen aberkannte, die nach dem 13. Januar 1991 noch Mitglieder der KPL gewesen waren. Auch von der Kandidatenliste zu den Wahlen 2002 wurde sie – mittlerweile eine der Vorsitzenden der Parteienallianz „Für Menschenrechte in einem Vereinten Lettland“ (PCTVL) – mit der gleichen Begründung gestrichen.

Während von den ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken Litauen keine Beschränkungen für Mitglieder der ehemaligen sowjetischen Nomenklatura eingeführt und Estland eine auf zehn Jahre befristete Aberkennung des passiven Wahlrechts für Ex-KGB-Mitarbeiter verabschiedet hatte, war Lettland mit seinem zeitlich unbefristeten Wählbarkeitsverbot rigoros vorgegangen, mit der offiziellen Begründung, „die politische Landschaft ein für allemal zu säubern“.

Für das Straßburger Gericht war es das Fehlen einer solchen Frist, das zur „Unverhältnismäßigkeit“ des Gesetzes führte. Dem fraglichen Personenkreis wurden keine persönlichen illegalen Aktivitäten gegen die Sicherheit des Staates Lettland vorgeworfen. Eine konkrete Gefahr, die möglicherweise ein derartiges Verbot rechtfertigen könne, sei deshalb nicht ersichtlich.

Die Regierung in Riga wird sich damit abfinden müssen, dass die unbequeme Mathematikerin in Zukunft wohl noch breiteres Gehör für ihren Kampf für die Rechte der russischen Minderheit finden wird. Ihre PCTVL ist mit 10,7 Prozent drittstärkste Partei bei der Wahl zum Europaparlament geworden und kann nun eines der neun lettischen Mandate besetzen. Die PCTVL-Abgeordnete wird aller Voraussicht nach Tatjana Zdanoka heißen. REINHARD WOLFF