Eingeschmeichelt

Zwei junge Frauen am Flügel verkaufen den 40-Jährigen Soulpop zum Gernehaben: Norah Jones und Alicia Keys spielten in Hamburg

Genau die Art von Publikum, die einem ansonsten eher beim Neuwagenhändler begegnet.

von Volker Peschel

Der Musikindustrie geht es schlecht. Ganz klar. Doch sie hat einen neuen Kundenstamm entdeckt, der bisher nicht im Verdacht stand, aus coolen Plattenladengängern zusammengesetzt zu sein: der 40-Jährige an sich. Der Großstadtbewohner, der Gutverdiener, der Es-sich-gut-gehen-Lasser. Eine Studie hat nachgewiesen: Wenn er Lust auf Musik hat, geht er ins Geschäft und kauft sie sich. Einfach so. E-Mule, Kazaa, Nero? Wozu?! Mit dieser erfrischenden Kauflust hat der 40-Jährige, so heißt es, die Jugendlichen als klassische Musikkunden inzwischen abgelöst.

Harmonie scheint dabei ganz oben auf dem Einkaufszettel zu stehen. Musik wie Räucherstäbchen mag er, der 40-Jährige. Und greift zu einer aus dem Boden sprießenden und doch handverlesen wirkenden Schar von Künstlerinnen, die einiges gemein haben: Sie sind sehr jung, schreiben zumeist selbst, singen fantastisch, sehen blendend aus und ziehen sich dennoch nicht aus. Da wäre die Georgierin Katie Melua, 19, mit ihrem gehauchten Soulpop. Oder Joss Stone, 17, mit ihrem langsamen Blues. Millionen Platten haben sie verkauft, ihre männlichen Kollegen wie Jamie Cullum, Michael Bublé oder Peter Cincotti folgen dezent. Aufgescheuchte Feuilletonisten entdeckten darin unlängst einen neuen Trend, prägten Begriffe wie „Cheesy Listening“.

Zwei der Topsellerinnen beehrten in der vergangenen Woche Hamburgs größere Bühnen. Am Dienstag spielte Alicia Keys im Stadtpark. 23 Jahre jung, ein zehn Millionen Mal verkauftes Debütalbum. Sind die alle in den Händen von zehn Millionen 40-Jährigen? Was etwas pauschal klingen mag, bestätigte sich zumindest beim Blick in das nahezu ausverkaufte Rund. Dort steht neben ein paar posenden Kids genau die Art von Publikum, die einem ansonsten eher beim Neuwagenhändler begegnet. Pärchen sind gekommen, oft zusammen mit befreundeten Pärchen. Teure Outdoorjacken werden bevorzugt, jeder hat Puma-Turnschuhe an. Sitzhocker, Decken und Picknickkörbe sind auch dabei.

Alicia Keys, bekleidet mit Hut, weißer Korsage und schwarzen Overknees, weiß indes um ihren Stand. Eitel lässt sie es angehen, spielt ein paar Pianotöne und hält inne, bis auch der letzte ihre Virtuosität bejubelt. Meist sitzt sie am schwarzen Flügel, einmal wird sie sich darauf räkeln, die üppige Band agiert souverän dahinter. Schöne, ruhige Momente. Warum Keys jedoch anfangs auf der Bühne herumtanzt und die Oberweite schüttelt, bleibt ihr Geheimnis. Nicht restlos glücklich jedenfalls leert sich das Freiluftgrün. Selbst „Fallin‘“, ihr großer Charthit, blieb an diesem Abend eher wie der Senf an der Bratwurstbude: nur mittelscharf.

Am folgenden Sonnabend spielte dann Norah Jones im längst ausverkaufen Saal 1 des CCH. 25 Jahre jung, ein 18,5 Millionen Mal verkauftes Debütalbum. Keck betritt sie die Bühne mit schwarzem Flügel in der Mitte und ihrer devoten „Handsome Band“ umzu. Jones trägt eine bescheidene Jeans, dazu ein grau glitzerndes, weit fallendes Top. Ein kurzes „Hello!“ und das – wirklich fast durchgängig 40-jährige – Publikum frisst ihr aus der Hand, wird jede weitere Bemerkung, jeden ersten Ton eines Liedes beklatschen.

Ihr Konzert ist ein langer, ruhiger Fluss, teils wähnt man sich in einer edlen Hotelbar. Gerne spielt sie Cover von Edelsongschreibern wie Lee Alexander oder Stevie Nicks mit verrauchter, oft nur gehauchter Moll-Stimme. Das Publikum hängt so schweigsam an ihren Lippen, dass manchmal die Saal-Klimaanlage hörbar wird. Dann singt sie sehr schön und ergreifend vom Schnee, der in New York fällt, und von einem Mann, den sie nicht mehr vermisst.

Gut 90 Minuten spielen beide jeweils. Dem Publikum scheint es zu reichen, fast panikartig stürzen bei Norah Jones viele aus dem Saal zur Garderobe, in der Hand die CD der Vorgruppe. Die Plattenindustrie kann sich also wieder zurücklehnen und, als Ausbund ihrer kreativen Leistungsfähigkeit, downloadenden Schülern Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei an den Hals schicken – denn diese Jugendlichen, die braucht sie ja jetzt gar nicht mehr.