Kirchen im „gleitenden Sinkflug“

Eine vorgezogene Steuerreform bedeutet für die Evangelische Landeskirche in Niedersachsen ein Minus von bis zu 30 Millionen Euro. Gespart wird vor allem am Personal, aber: „Die Kollegen gehen alle schon Oberkante Unterlippe“

aus Bremen ULRIKE BENDRAT

Die Debatte um die Gegenfinanzierung einer vorgezogenen Steuerreform tobt noch, da machen sich die Kirchen längst Gedanken darüber, wie sie ihre Einnahmenverluste auffangen können. Denn: Die Haupteinnahmequelle von evangelischer und katholischer Kirche ist die Kirchensteuer. Da diese an die Lohn- und Einkommenssteuer gekoppelt ist, würde sie sinken.

„Wir rechnen im ganzen Gebiet der evangelischen Kirche in Deutschland mit einem Minus von 10 Prozent an Kirchensteuereinnahmen“, sagt Sabine Hatscher, Sprecherin der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK). Für Hatschers Landeskirche hieße das ein Minus von 4,7 Millionen Euro. In Niedersachsen geht man von einem 30 Millionen Euro großen Loch aus. Genauere Zahlen nennt noch niemand. Fakt ist: Die Verluste bedeuten weniger Kindergärten, weniger Altenarbeit, Seelsorge und Sozialarbeit. Gebäude müssen noch länger auf ihre Renovierung warten.

Das Rote-Zahlen-Management sieht bei den Landeskirchen jeweils anders aus. Die Bremerin Sabine Hatscher ist sicher: „Wir werden hier nicht nach dem Rasenmäherprinzip sparen.“ Perspektivisch würden die fehlenden Millionen Personalabbau bedeuten, aktuell sei von Entlassungen aber noch keine Rede. Ebensowenig von Kindergartenschließungen, sagt Hatscher. Wo Stellen gestrichen werden könnten, kann sie nicht sagen: „Die Kollegen gehen schon alle Oberkante Unterlippe.“

In der niedersächsischen Landeskirche hat man sich frühzeitig Gedanken gemacht – zum Sparen und zur Einnahmenverbesserung. Rolf Krämer, Vizepräsident und Finanzdezernent des Landeskirchenamtes in Hannover, erklärt das niedersächsische System: Mit Blick auf die ursprünglich für 2005 geplante Steuerreform hatte sein Amt schon ab 2003 Einsparungen vorgesehen, die bis 2008 gut sechs Prozent Personalkosten reduzieren sollte. „Gut 20 Millionen Euro“, überschlägt Krämer. Aktuell beschäftigt die Evagelische Kirche in Niedersachsen 24.000 Personen in Teil- oder Vollzeit. Personalkostenpunkt im nächsten Jahr: 373 Millionen Euro.

Ob die Hannoveraner Protestanten ihre über 500 Kindergärten erhalten können, ist laut Krämer fraglich. Grundsätzlich unklar sei die Zukunft aller Einrichtungen, die auch staatliche Zuschüsse bekämen – wie Familienbildungsstätten oder Einrichtungen der Altenbetreuung. Wenn der Staat sich dort zurückziehe, könne die Kirche nicht in die Bresche springen. Klar ist für Krämer: „Wir können und wollen die 30 Millionen, die uns die vorgezogene Steuerreform beschert, nicht auf einmal auffangen“, und setzt hinzu: „Wir befinden uns schon im gleitenden Sinkflug und wollen für 2004 keinen Sturzflug.“

Dem Sinkflug stellt Krämer eine Idee zur Einnahmen-Verbesserung gegenüber – die Stiftungsinitiative: Wirbt eine Gemeinde mit einer lokalen Stiftung drei Euro ein, bekommt sie von der Landeskirche den vierten Euro oben drauf. Krämer erklärt: „Eine Gemeinde in Ostfriesland hat ihren Kirchenmusiker verloren und will sich damit nicht abfinden. Dann kann sie eine Stiftung für ostfriesische Kirchenmusik gründen und Geld einwerben.“ Die Rechnung scheint aufzugehen: 50 Stiftungen seien in den letzten zwei Jahren gegründet worden, sagt der Dezernent. „Da sind welche dabei, die schon 100.000 Euro eingeworben haben.“ Das ändere aber nichts daran, dass die Gesamtlage dramatisch sei.

Die Katholiken in der bremischen Diaspora erwischt der Rückgang der Kirchensteuer genau so. Deshalb habe auch das Bistum Osnabrück, zu dem große Teile Bremens gehören, zehn Prozent Einsparungen verlangt, berichtet Gerhard Brinkmann, Geschäftsführer des katholischen Gemeindeverbandes. Das entspreche rund 300.000 Euro. Die würden vorerst nach der Rasenmähermethode erbracht, sagt er. Dennoch können die Romgetreuen zunächst etwas gelassener bleiben. Ihnen kommt zugute, dass das Land Bremen die Finanzierung der Privatschulen, und damit auch der katholischen Schulen, verbessert hat. „Damit können wir trotz Einsparungen zumindest den Standard halten“, sagt Brinkmann – immerhin.