Hindu-Fundamentalisten laufen Sturm gegen Lesbenfilm

In Indien entdecken selbst ernannte Hindu-Moralwächter in einem Bollywood-Film mit lesbischer Liebe den Import „böser Gedanken“

DELHI taz ■ In den letzten Tagen häufen sich in Indien Vandalenakte gegen Kinos, die einen Film über die Liebe zwischen Frauen zeigen. Vier Tage nach dem Kinostart von „Girlfriend“ rissen am Montag Vertreter der lokalen radikalen Hindu-Partei Shiv Sena in Bombay Plakate des Films herunter und verhinderten dessen Vorführung. In den folgenden Tagen wiederholten sich diese Szenen in zahlreichen Städten. Wieder waren es Studenten- und Frauengruppen der hindunationalistischen Exregierungspartei BJP und der radikalen Hindu-Kaderorganisation RSS, die in Kinos Mobiliar zerschlugen. Der RSS-Vorsitzende K. S. Sudarshan rechtfertigte dies mit der Befürchtung, dass solche Filme „die Gesellschaft mit bösen Gedanken verderben“. Ein BJP-Sprecher sprach von einer Verletzung der indischen Kultur.

Dabei sind es die Vorstellungen der selbst ernannten Kulturhüter, die von der westlichen Moral des 19. Jahrhunderts geprägt sind. Die klassischen Epen „Mahabharata“ und „Ramayana“ behandeln die gleichgeschlechtliche Liebe mit Selbstverständlichkeit, tantrische Traktate sprechen von der Bisexualität als einem normalen menschlichen Verhalten, und Sodomie gehört zu den sexuelle Gebrauchsanweisungen des Kamasutra. Dennoch gilt in Indien in Sachen alternativer Formen der Sexualität immer noch ein Paragraf der Engländer von 1883. „Wer immer Geschlechtsverkehr ausübt, der gegen die Natur verstößt“, so lautet er, „mit einem Mann, einer Frau oder einem Tier, wird bis zu lebenslänglicher Haft bestraft.“ Dies wird von der Justiz zwar nicht mehr streng angewandt, dient aber den Hindu-Moralwächtern als Drohinstrument.

Ironischerweise feiert „Girlfriend“ die lesbische Liebe keineswegs. Die Bollywood-Billigproduktion handelt von einer jungen Frau, die als Kind sexuell missbraucht wird. Sie wächst im Hass gegen Männer auf und verliebt sich in eine andere Frau. Der Konflikt entzündet sich, als sich diese in einen Mann verliebt, worauf die Liebhaberin in einem psychotischen Anfall einen Amoklauf beginnt, der im Tod der Protagonistinnen endet. Die Liebesbeziehung wird also als Resultat männlicher Vernachlässigung thematisiert.

Lesbenorganisationen verurteilten daher „Girlfriend“ ebenso scharf wie sie sich von den Hindu-Sturmtrupps distanzierten. „Beide bedrohen uns“, sagte eine Vertreterin von „Aktive Lesben und Bisexuelle“. Ein „Forum gegen die Unterdrückung der Frau“ qualifizierte den Film als „pornografisch, klischeehaft und gedreht für die Geilheit heterosexueller Männer“. Er werde das Leben für homosexuelle Paare noch schwerer machen.

„Girlfriend“ ist allenfalls für Filmsoziologen von Interesse. Die Hauptdarstellerin Isha Koppikar verteidigte den Streifen, da gleichgeschlechtliche Liebe „nun mal eine Realität“ sei. Die Reaktion zeigt den Trend der Bollywood-Filmszene, statt eskapistischer Liebesszenen moderne Themen aufzugreifen. Dies gilt besonders für die Frauenrollen, die sich immer mehr von den traditionellen Filmklischees – züchtige Jungfrauen, trauernde Mütter, keifende Schwiegermütter – abwenden.

Sogar Publikumsstars scheuen sich heute nicht mehr, Haut zu zeigen, so wenig wie sie davor zurückschrecken, in die (positive) Rolle einer Prostituierten zu schlüpfen oder ihren Filmehemann zu betrügen. Die „Freundin“ von Koppikar warf sich ebenfalls für den Film in die Bresche. Es sei ein Zeichen, dass das Hindi-Kino endlich erwachsen werde. „Wie können wir uns progressiv nennen, wenn wir im 21. Jahrhundert über dieses Thema keinen Film machen dürfen?“

BERNARD IMHASLY