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: Bett und Agitation

20.40 Uhr, Arte, „Hunger auf Leben“

Hoyerswerda leuchtet. Die gerade hochgezogenen Plattenbauten strahlen in der Sonne wie ein Versprechen; das örtliche Braunkohleveredlungswerk, das die DDR mit Energie versorgen soll, schimmert schwarz im Hintergrund. Die Schriftstellerin Brigitte Reimann kommt 1960 in dieses Idyll realsozialistischer Städtebauplanung, um schreibend den Aufbau des Landes zu begleiten. Fünf Jahre später beschreibt sie in dem unvollendet gebliebenen Roman „Franziska Linkerhand“ die Erlebnisse einer jungen Archtitektin, deren Ideale einer menschenfreundlichen Umwelt am realen Sozialismus zerbrechen.

Idealisierung und Desillusionierung – das war das Wechselspiel, das Reimanns Werdegang prägte. Ihren Glauben an einen gerechten sozialistischen Staat versuchte sie genauso gegen die Wirklichkeit zu verteidigen wie ihre vielen Amouren. Reimann liebte Proletarier, Intellektuelle und Stasi-Informanten. Sie schlief sich durch alle Bereiche der DDR-Gesellschaft. Bedingungslos ging sie den Kerlen an die Wäsche, genauso bedingungslos führte sie gelegentlich aber auch die DDR-Machtkader vor – wenn sie sich nicht gerade auf ungeschickte Weise mit ihnen zu arrangieren suchte. 1973 starb sie mit 39 Jahren an Krebs. Die Verfilmung ihres Lebens ist so verlockend wie riskant: Allzu leicht kann Privates und Politisches durcheinander wirbeln, Bett und Agitationsbühne wurden bei Reimann oft eins. Martina Gedeck verkörpert sie, ohne sich in ihr zu verlieren. Keiner anderen deutschen Schauspielerin traut man das zu.

Gedeck und Regisseur Markus Imboden machen fast alles richtig: Sie durchlaufen alle wichtigen Etappen im Leben der Reimann, vom Tanztee zur Musik des Klassenfeindes im Schriftstellerheim bis zum Apfelschälen mit Ulbricht. Die in sich schlüssigen Szenen der MDR-Produktion ordnen sich nicht zur großen Erzählung, in der sich das Politische gänzlich im Menschlichen auflöst. Die fatalen Verstrickungen von Lebensgier und staatlicher Überwachung werden aufgezeigt, doch ist die Filmheldin mehr als ein Produkt ihrer Zeit. Sie darf widersprüchlich bleiben. Im sonstigen öffentlich-rechtlichen Biopic-Schmonzes, wo historische Zusammenhänge allzu sehr mit dem Privatleben berühmter Persönlichkeiten verquickt werden, ist das eher selten. CHRISTIAN BUSS