Anne Huffschmidt/Mexiko
: Der Mixe-Informatiker

Schschsch tönt es tagtäglich aus irgendeiner Ecke des Zócalo, der gigantischen Freifläche inmitten der kolonialen Altstadt von Mexiko-Stadt. Ein Grüppchen gut gebauter junger Männer stampft barfüßig und mit einem goldverzierten Lendenschurz um ein qualmendes Weihrauchtöpfchen. Um die Fußknöchel ranken sich die raschelnden Muschelbänder: schschsch. Die Köpfe sind von ausladenden Federkronen geschmückt. Was wie postaztekischer Cancan für Touristen anmutet, kommt aufklärerisch daher: Der Muscheltanz soll nämlich an Glanz und Glorie der vor nahezu 500 Jahren bezwungenen Aztekenmetropole Tenochtitlán erinnern.

Selbstfolklore und Identitätskitsch? Geschenkt. Die Muscheltänzer, Concheros, gehören genauso zum Bild der surrealen Megalopolis – deren Fundamente die Spanier perfiderweise aus dem Gestein des zertrümmerten Tenochtitlán bauten – wie Darkies, Maiskolbenverkäufer oder hungerstreikende Polizisten. Kulturelle Festschreibungen sind im Gemisch der Stadt ohnehin nicht möglich: beispielsweise Apolinar, der junge Informatiker. Ein smarter Endzwanziger, der die Soft- und Hardware einer Migrantenorganisation betreut. Wie viele Jugendliche seines Volkes, den Mixes, hatte er sich eines Tages aus seinem Dorf in Oaxaca auf den Weg in die Hauptstadt gemacht. Weniger aus Not, sondern aus Neugier: „Ich hatte keine Lust auf Ackerbau“, erzählt er in dem weichen Singsang derjenigen, für die Spanisch Zweitsprache ist. Nach Abitur und ein paar Semestern Architektur landete er in einer Privatuniversität, wo es weit und breit keine Indigenen gab. Die Mitschüler reagierten befremdet, „wo kommst du denn her?“, wurde zum Leitmotiv. Seine Auskunft erntete wahlweise Ungläubigkeit oder Spott. Doch der Mixe-Informatiker ist nachsichtig. „Sie wussten es halt nicht besser“, sagt er und lächelt fein. „Die meisten waren ja über Acapulco und Cancun nie hinausgekommen.“