Einen Lichtblick gibt es

Brüssels Politiker halten sich am Wahlabend zunächst vornehm zurück

BRÜSSEL taz ■ Hätte nicht das große orangefarbene Plakat mit den bunten Männchen drauf die Fassade geziert – das Europaparlament hätte gestern Abend ausgesehen wie an jedem anderen stillen Sonntag. Nur ein paar Belgier standen in politische Debatten vertieft an den Straßenecken – sie mussten schließlich bis 15.00 Uhr ihrer Wahlpflicht nachgekommen sein, denn da machten in Belgien die Wahllokale zu.

In den Ländern, wo keine Wahlpflicht herrscht, hatten die Bürger dem Europaparlament die kalte Schulter gezeigt. Vielleicht trug diese ernüchternde Erkenntnis dazu bei, dass sich bis zum Abend kein einziger Politiker in den Hallen und Gängen des Brüsseler Parlamentsgebäudes blicken ließ. Dafür war das neue Pressezentrum, das pünktlich zur Wahl fertig geworden war, bis auf den letzten Platz besetzt.

Die Nachricht, dass der ehemalige Spiegel-Autor und Ex-Sozialdemokrat Hans-Peter Martin mit seiner Protestpartei aus dem Stand 2 der 18 österreichischen Sitze erobert hatte, schlug bei den österreichischen Journalisten wie eine Bombe ein. Martin hatte seine Parlamentskollegen mit einer Hasskampagne verfolgt und ihnen Missbrauch von Reisekostenerstattungen und Tagegeldern vorgeworfen – ohne dafür Belege vorweisen zu können.

Der österreichische grüne Spitzenkandidat Johannes Voggenhuber hatte gestern Abend noch die Hoffnung, vor Martin drittstärkste Kraft zu werden, sobald die Stimmen in den Großstädten ausgezählt sind. Angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung war die Stimmung des überzeugten Europäers aber gedämpft: „Ich bin bitter enttäuscht. Am Montag werden sich die Außenminister noch einmal über die Verfassung beugen und sich, da das Parlament die Wähler nicht hinter sich bringen konnte, weitere Rechte zuschanzen. Europa ist kein Zukunftsprojekt.“

Das scheint der irische Regierungschef Bertie Ahern anders zu sehen. Nachdem seine Fianna Fáil bei den Wahlen einen heftigen Dämpfer verpasst bekam, ließ er die Öffentlichkeit wissen, er stehe nun doch für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zur Verfügung. Da die Konservativen als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen, könnten die Regierungschefs kommenden Donnerstag beim EU-Gipfel tatsächlich einen Kandidaten aus dem rechten Lager auf den Schild heben.

Ein Lichtblick im neuen Parlament ist immerhin der Erfolg des holländischen EU-Kritikers Paul van Buitenen. Der dänische EU-Rebell Jens-Peter Bonde hat ihm bereits Obdach in seiner eigenen Fraktion der Euroskeptiker angeboten. Er werde sich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass van Buitenen einen Platz im Haushaltskontrollausschuss erhalte. Dann hätte das EU-Parlament wenigstens dort etwas mehr Biss als in den letzten fünf Jahren. DANIELA WEINGÄRTNER