Hunger macht Schule

An Offenen Ganztagsgrundschulen können sich viele Kinder offenbar das Mittagessen nicht leisten. Die Dortmunder Grünen und die Elternpflegschaft der Stadt fordern einheitliche Regelungen

VON NATALIE WIESMANN

Die steigende Kinderarmut wird zum Problem der Offenen Ganztagsgrundschulen im Ruhrgebiet: Kinder nehmen aus Kostengründen nicht am Mittagessen teil, kommen oft ohne Pausenbrot in die Schule. In Dortmund schlagen Rektoren, Elternvertreter und die Grünen Alarm und haben in der Stadt eine Debatte in Gang gesetzt.

Auf Nachfrage bestätigen Schulleiter die steigende Kinderarmut, wollen aber mit Verweis auf den Beamtenstatus nicht genannt werden. Nur Hans Albert Jung, Rektor der Frenzel-Förderschule gibt zu, dass die Armut sich auch auf das Mittagessen niederschlägt. „50 Euro monatlich ist zu viel. Nur mit Hilfe von Sponsoren können meine Schüler alle mitessen“, sagt er. Auf diese Weise sei es ihm gelungen, die Kosten auf 50 Cent pro Mahlzeit zu senken.

Monika Landgraf von der Elternpflegschaft ist verärgert: „Die Rektoren sind alle so feige“, sagt sie. Sie habe mit anderen Elternvertretern eine Umfrage bei den Dortmunder Offenen Ganztagsgrundschulen durchgeführt: heraus kam dabei, dass jedes dritte Kind nicht am Essen teilnimmt. „Die Umfrage war leider nicht repräsentativ, weil Schulleiter und die Bezirksregierung in Arnsberg dies blockiert haben“. Nur 120 der über 1.600 herausgegebenen Fragenbögen seien zurückgekommen. Sie versteht nicht, warum man versuche, die Probleme zu kaschieren, statt sie offen anzusprechen. „Selbst wenn es keine 30 Prozent sind: Jedes Kind, dass nicht mitessen kann, ist eines zu viel“, sagt die Elternvertreterin.

Die Offenen Ganztagsgrundschulen wurde von der Landesregierung im vergangenen Schuljahr gegen viele Widerstände eingeführt. Die Stadt Dortmund wollte sich dennoch mit dem Modell profilieren und ist vorgeprescht: 28 Schulen sind bereits als Offene Ganztagsschulen ausgebaut, etwa ein weiteres Dutzend soll im Herbst an den Start gehen. Die Elternbeiträge für die neue Schulform werden gestaffelt, je nach Einkommen von 0 bis 100 Euro monatlich. Nicht inbegriffen sind jedoch die Pauschalbeiträge fürs Mittagessen, die für eine warme Mahlzeit in Dortmund bis zu 54 Euro monatlich ausmachen. Ein Drittel des Geldes, das Sozialhilfeempfänger für ein Kind bekommen.

Obwohl die anderen Revierstädte genauso von der Kinderarmut betroffen sind, gibt es dort offiziell keine solchen Probleme. Die Zahlen der nicht essenden Kinder sind erstaunlich niedrig: In Essen nehmen demnach etwa drei Prozent der Kinder nicht am Mittagessen teil. In Gelsenkirchen sind an der einzigen Offenen Ganztagsschule nur ein oder zwei Fälle bekannt, die ihre Kinder aus Kostengründen nicht zum Essen anmelden. Weder zum Städte- und Gemeindebund sind die Probleme durchgedrungen, noch zum Schulministerium. Wenn welche aufkommen sollten, schlägt Ministeriumssprecherin Stephanie Paeleke ein Ausgleichssystem vor, das die Beiträge wie beim Geld für die Nachmittagsbetreuung staffelt. „Hier sind die Kommunen gefragt, sich etwas zu überlegen.“

Das sehen auch die Dortmunder Grünen so: „Die Grundschule ist ein wichtiger Ort, um die Folgen von Armut zu kompensieren“, sagt deren Dortmunder Fraktionsvorsitzende Daniela Schneckenburger. Es könne nicht sein, dass Schulen auf das individuelle Engagement von Lehrern, Schulleitung und Eltern angewiesen seien. „Die Stadt Dortmund hat keine Konzepte gegen Kinderarmut“, kritisiert Schneckenburger das sozialdemokratisch regierte Rathaus. Das zeige sich auch darin, dass der Dortmunder Kinderarmutsbericht seit 1995 nicht mehr fortgeschrieben worden sei.

Die Stadt Duisburg verfolgt ein ganz anderes Konzept und hält nichts von der Gleichmacherei beim Essen: „Eltern sollen selbst entscheiden können, ob sie ihren Kindern Brote mitgeben und abends für sie kochen, oder nicht.“, sagt Rita Rzyksi vom Schuldezernat. Sie befürchtet bei einer generellen Mittagessenspflicht, die türkischen Eltern von der Offenen Ganztagsschule abzuschrecken.