Ein Zoll, eine Meile

Von Baltimore nach Washington in sieben Stunden: eine Reise zur Amtseinführung von Barack Obama

„Ich glaube, er müsste gar keine Rede halten. Er könnte einfach nur da sein“, sagt eine Frau

Wie lange braucht man, um die 60 Kilometer von Baltimore nach Washington zurückzulegen? An gewöhnlichen Tagen etwa 50 Minuten, aber an diesem Dienstag haben wir sieben Stunden eingeplant. Um fünf Uhr morgens machen wir uns zu siebt mit einem Mietwagen auf den Weg, um pünktlich um zwölf zu Barack Obamas Amtseinführung an der National Mall zu sein. Sonst nehmen wir den Zug in die Hauptstadt, aber die Fahrkarten waren schon vor Wochen ausgebucht. Wir fahren zur Bahnstation Greenbelt in Maryland, wo die grüne Linie der Washingtoner Metro endet. Es gibt noch reichlich Parkplätze, aber vor dem Bahnhof steht schon eine Menschenmenge. Die Straßenhändler machen bei eisigen Temperaturen mit Mützen, Schals und Handschuhen, bedruckt mit dem Namen und dem Gesicht des neuen Präsidenten, gute Geschäfte.

Um 7.45 Uhr sitzen wir endlich in der U-Bahn. Immer wieder sagt der Fahrer durch, welche Stationen im Zentrum Washingtons schon wegen Überfüllung geschlossen sind. Wir entschließen uns, bis Waterfront zu fahren. Das bedeutet einen Fußmarsch von ein paar Kilometern bis zur Mall, aber wenigstens kommen wir zügig aus der Station heraus. Warten müssen wir erst im Warenlager eines Supermarktes, der seine Toiletten den Besuchern der Amtseinführung zur Verfügung stellt. Eine Dreiviertelstunde lang schiebt sich die Schlange an Obstkonserven und Toastbrot vorbei. „Eigentlich ist es ja ganz angenehm, noch eine Weile in einem geheizten Raum zu sein“, findet Felice.

Warm ist es auch wieder, als wir uns an der Independence Avenue unter die Menschenmassen mischen. Das liegt diesmal an der Enge. Einige Besucher schieben uns in Richtung Mall, andere versuchen, dem Gedränge zu entkommen. „Geht das vielleicht mal weiter? Einen Zoll, eine Meile, einen Zentimeter? Ich will nicht mehr eingequetscht werden und nichts sehen!“, ruft ein junger Mann. Kelsey, Jan und mir geht es ähnlich. Wir trennen uns von unseren Freunden und laufen rund zwei Kilometer zum World War II Memorial, wo es mehrere riesige Leinwände gibt.

Eine Bürgerinitiative hat uns Aufkleber geschenkt. „Der Wandel beginnt mit einem Gespräch“, heißt es darauf, und neben einem Bild von Obama haben wir unsere Namen eingetragen. Das soll den Gesprächseinstieg erleichtern. Der fällt an diesem Tag aber ohnehin niemandem schwer. „Ich glaube, er müsste gar keine Rede halten. Er könnte einfach nur da sein“, sagt eine Frau neben mir, als der frisch vereidigte Präsident ans Rednerpult tritt.

Natürlich redet Obama trotzdem und bekommt reichlich Applaus. Danach strömen die Menschen in Richtung der U-Bahnen und Busse. Wir versuchen unsere Freunde zu erreichen, aber die Mobilfunknetze sind überlastet. Noch einmal warten also. Wenigstens kommt endlich die Sonne raus. Kelsey deutet das als Zeichen: „Jetzt trifft er bestimmt gerade im Weißen Haus ein.“

BIANCA SCHRÖDER