die stimme der korrektur: die reform wird zum anhalten gezwungen
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Verwirrendes stand der neuen Rechtschreibung bevor: Würde sie endgültig für verbindlich erklärt, teilweise zurückgenommen oder reformiert? Letztlich kann man alles aus dem herauslesen, was die Kultusminister am Freitag in Mainz beschlossen haben.

So erfährt man, warum „das Inkrafttreten“ bald wieder ohne Bindestriche geschrieben werden darf. Ein solches Wort sei zwar eine zweifache Zusammensetzung, aber eben auch eine „einfache“ (= einfach lesbare), die des Bindestrichs nicht bedürfe. Die zwei Bedeutungen von „einfach“ habe man bei der 1998er-Reform leider durcheinander gebracht und so der Sprachgemeinschaft versehentlich den Bindestrich aufgezwungen – der ja als so seriös nicht gilt. So werden wohl die (echten) Gesetze, in deren Schlussteil ihr „In-Kraft-Treten“ geregelt ist, bald davon künden, dass sie in den fetten Jahren der Bindestrichherrschaft erlassen wurden.

Die neuen Freiheiten, Prägedatum 2005, wirken dagegen umso demokratischer. Nachdem vor allem Presseagenturen an den Regeln vorbei bei „Roten Karten“ und „Parlamentarischen Staatssekretären“ die Kleinschreibung verweigert haben, darf jetzt jeder entscheiden, dass er einen Begriff „fachsprachlich“ gebrauche und großschreibe. Konnten KorrektorInnen bisher grübeln, ob das in der Statistik benutzte „Verarbeitende Gewerbe“ ein Fachbegriff ist, werden sie künftig mehr auf die Befindlichkeit der AutorInnen achten müssen, die natürlich keine Laien …

Selbst Errungenschaften der Differenzierung werden zurückgedreht. Seit 1998 unterscheiden wir die anderen und die Anderen; Letztere, „qualifizierend“ großgeschrieben, sind nämlich wirklich anders, da konnte man manchem Text zur Migrationsthematik besonderen Schliff geben. Nun soll es generell (auch) „die Anderen“ geben – und „die Einen“ –, vorbei ist’s mit dem Unterschied.

Die 1998 so unkonventionell daherkommenden „allein erziehenden“ Mütter sollen demnächst wieder „alleinerziehend“ sein dürfen, auch wenn es nach wie vor keine alleinerziehenderen gibt. „Die Verbindung der beiden Wörter als Einheit aufgefasst“ zu sehen, reicht nun aus. All die fleischfressenden Pflanzen, eisenverarbeitenden Industrien können durch dieses Einfallstor gelangen. Dazu braucht es vor allem eins: dass die verbreitete Ansicht, modern werde alles auseinander geschrieben, der Auffassung weicht, noch moderner sei wieder das Zusammenschreiben. Stramme Getrenntschreibung, selbst dort wo sie fakultativ („hier zu Lande“) oder gar falsch („hinein gehen“) ist, könnte dann eines Tages das Markenzeichen einer „Generation“ sein. MATTHIAS FINK