begegnung mit dem kinderschreck (1) von REINHARD KRAUSE
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Maiko Naten. Der Name wird mir ewig im Gedächtnis brennen. Der Kinderschreck aus der Gneisenaustraße, der Albtraum meiner jungen Jahre. Was ja eigentlich komisch ist, denn Maiko Naten war, wenn mich nicht alles täuscht, ein Jahr jünger als ich, also wahrscheinlich fünf bei unserer ersten Begegnung.

Mein Bruder und ich hatten uns aus der Yorckstraße vorgewagt zur Ecke Gneisenaustraße, wo die Reihenhäuser mit den Sozialwohnungen begannen. Weiter reichte unser Radius damals noch nicht. Und da stand er plötzlich, baute sich vor uns auf und sagte mit mieser, hundsgemein rauer Stimme: „Ah, da seid ihr ja endlich. Jetzt wird es euch dreckig ergehen!“ Das klang, als habe er uns schon lange erwartet. Und nun schlug unser letztes Stündlein oder zumindest würden uns jetzt die Fressen poliert.

Ich muss wohl ein Gesicht zum Steinerweichen gemacht haben, jedenfalls hörte ich ganz unverhofft, wie der Kinderschreck zu mir sagte: „Kleiner, du brauchst keine Angst zu haben. Von dir wollen wir ja nichts.“ Pause. „Aber von deinem Bruder!“ Das war eine gewisse Erleichterung für mich, aber noch immer keine schöne Aussicht.

Für dieses Mal allerdings beließ es Maiko Naten dabei, meinen zwei Jahre älteren Bruder gegen die Träger seiner kurzen Lederhose zu stupsen und mit imperatorischer Miene unseren schleunigen Abgang zu quittieren. Lange machten wir nun einen Bogen um die Gneisenaustraße. Miese Gegend!

Ein paar Jahre später – ich ging mittlerweile nach links aufs Gymnasium, Maiko Naten nach rechts auf die Hauptschule – habe ich den Kinderschreck einmal verpfiffen. Da hatte ich mit meinem besten Schulfreund aus einem Versteck heraus beobachtet, wie der Naten mit zwei seiner Spießgesellen bei der Eisenbahnbrücke große Packen bunten Papiers mit Steinen beschwerte und im Fluss versenkte. Was mochte das nur sein?

Kaum waren die bösen Buben abgezwitschert, radelten wir Kinderdetektive auf die andere Seite des Flusses und bargen die nasse Sore: lauter Werbezettel vom Mini-Supermarkt hinter der Hermannstraße, direkt bei meinem Freund um die Ecke. Der Besitzer staunte nicht schlecht, als er die triefenden Batzen sah. „Na warte“, fluchte er, „die kauf ich mir!“

Fortan hatten wir den Job der arbeitsscheuen Betrüger, stellten aber selber schnell fest, dass Zettelverteilen eine unsagbar doofe und äußerst unterbezahlte Arbeit war. Da verzichtete man lieber auf das sauer verdiente Geld und spielte gemütlich auf der Straße.

Dabei allerdings wurde ich kurze Zeit später von drei Gestalten auf Bonanzarädern umzingelt: der Kinderschreck & Co KG! Ein Déjà-vu der sehr ungemütlichen Sorte. „Das ist doch der Kerl, der uns neulich ans Messer geliefert hat“, sagte der eine und rückte bedrohlich nah. Jetzt würde es die Hiebe setzen, um die ich Jahre zuvor noch herumgekommen war. Mit Zins und Zinseszins. Scheiße, Scheiße, Scheiße! Doch da erhob Maiko Naten himself das Wort: „Lasst gut sein, der hat neulich seine Mutter verloren. Der ist bestraft genug.“

Und wieder war es, als würde ich mich an der Erleichterung, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein, nicht richtig freuen können.