Das Dilemma der Helfer in Sudans Krieg

In Darfur im Westen des Sudans werden Bauernvölker von Milizen vertrieben, ihre Dörfer von Hirtenvölkern übernommen. International wird dies als „ethnische Säuberung“ kritisiert. Unterstützen Hilfswerke das, wenn sie Vertriebene versorgen?

AUS KRENIC ILONA EVELEENS

Ein Schwarm Heuschrecken fliegt auf von einem Busch. Ihre Fressgier hinterlässt nur noch kahle Äste. Auch die meisten Dörfer in dieser Gegend sind nur noch verlassene Ruinen in einer Sahellandschaft von Sand, Steinen, vertrocknetem Gras und winzigen Akazienbäumen.

Der Ort Krenic liegt einige Dutzend Kilometer nordöstlich von al-Geneina, Provinzhauptstadt von Westdarfur nahe an der Grenze zu Tschad. Vor Ausbruch des Bürgerkrieges voriges Jahr zählte die Region um Krenic über 100.000 Einwohner. Heute ist Krenic wegen des Zustroms von Vertriebenen von 5.000 auf 30.000 gewachsen – aber der Rest der Bevölkerung ist tot oder nach Tschad geflohen. „Manche Vertriebenen möchten nach Hause, um zu pflanzen, weil die Regensaison sich rasch nähert und hier zu wenig Nahrung ist“, erzählt Abdu al-Wahab Hassan Tagaldin, der Verwaltungsbeamte von Krenic. „Aber die unsichere Lage hält sie davon ab.“

Die meisten Vertriebenen in dieser Region gehören zum Bauernvolk der Massalit. Beim Besuch der ausländischen Journalisten sind sie sehr reserviert, weil Mitglieder von Sudans offizieller Humanitären Kommission (HAC) dabei sind und fleißig Notizen machen. Jeder Besucher in Darfurs Flüchtlingslagern muss sich beim HAC melden. Es ist eher ein Sicherheitsdienst als ein Hilfswerk.

Eine Gruppe Mitarbeiter einer richtigen sudanesischen Hilfsorganisation spielt Karten im Schatten eines großen Mangobaumes am Rand des trockenen Flussbettes. Sie lässt sich von der Anwesenheit der HAC-Aufpasser nicht einschüchtern. Auf die Frage, ob Krenic ein Gefängnis für die Vertriebenen ist, antwortet einer: „Menschen werden physisch nicht zurückgehalten, aber es ist Selbstmord, mehr als zwei Kilometer aus dem Lager hinauszugehen. Dort wandern die Dschandschawid-Milizen, die Krenic umzingelt haben.“ Diese Milizen, von der Regierung trainiert und bewaffnet, helfen Sudans Armee im Kampf gegen die Rebellen in Darfur. Sie rekrutieren sich aus arabisierten Hirtenvölkern im Norden von Darfur.

Es ist normal, dass die Hirten in der Trockenzeit mit ihrem Vieh aus dem Norden von Darfur Richtung Süden ziehen, um Nahrung und Wasser zu suchen. Aber diesmal ist es anders, meint einer der Hilfsarbeiter: „Ich vermute, dass sie dieses Mal nicht in den Norden zurückgehen, wenn die Regenzeit anfängt. Sie machen den Eindruck, als wollten sie sich hier anzusiedeln.“

Dass die Vertriebenen die Lager nicht verlassen können, macht Mitarbeitern internationaler Hilfswerke Sorge. „Wenn Menschen wirklich unter Bedrohung in den Lagern festgehalten werden, wird es ein Dilemma für uns“, sagt einer. „Sollen wir Vertriebenen helfen und damit vielleicht die Regierungspolitik unterstützen? Oder sollen wir uns zurückziehen und damit die Menschen im Stich lassen?“

Die internationalen Hilfsarbeiter in Darfur sind sehr vorsichtig, denn sie haben ständig Angst, von den Behörden hinausgeschmissen zu werden. Sie klagen über die zahlreichen Behinderungen ihrer Arbeit. Nur sudanesische Organisationen dürfen internationale Hilfe an die Bevölkerung weitergeben. Aber es existieren nur wenige örtliche Hilfswerke, nicht genug für die international geforderte große Hilfsaktion. Auch gibt es Berichte, dass die Genehmigung für die Verteilung von Nahrung an Lagerbewohner immer wieder versagt und aufgeschoben wird. Sudans schon immer träge Bürokratie ist noch langsamer, wenn es darum geht, Hilfsgüter abzufertigen. Auch die Unsicherheit in Darfur schüchtert Hilfsorganisationen ein. Sechzehn Mitarbeiter internationaler Hilfswerke wurden Ende letzter Woche in Nord-Darfur entführt; die Regierung machte Rebellen verantwortlich, diese dementierten.

Aber der Mangel an Hilfe für die Einwohner von Darfur kann nicht nur der Regierung in Khartum angelastet werden. Internationale Hilfswerke geben zu, den Ernst der Lage schwer unterschätzt zu haben und zu spät aktiv geworden zu sein. Jan Egeland, UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten, fasst zusammen: „Die Beschränkungen sind enorm, manche Organisationen sind sehr träge, manche Spenderländer zu langsam, und es gibt viele Regierungsbeschränkungen.“

Während jetzt endlich mehr Gelder zugesagt werden, brauen sich die ersten Regenwolken über dem Süden von Darfur zusammen. In der Regenzeit wird nicht gepflanzt. Erwartet wird, dass zwei Millionen Menschen auf Nahrungshilfe angewiesen sein werden. Der Regen wird Darfurs Sandwege in Rutschbahnen verwandeln, und die trockenen Flussbetten werden sich bis zum Rand füllen. Dann kann Nahrung nur noch durch sündhaft teure Luftabwürfe geliefert werden.