Definition von Heavyness

Gebrochener Rock mit speziellem Humor, Haken und Ösen: Mike Pattons neues Projekt „Tomahawk“ und die beste Rockband der Welt, die „Melvins“, holen am Sonntag ihr Konzert in der Fabrik nach

von MICHELE AVANTARIO

Die Melvins wurden 1983 in Aberdeen, Washington gegründet. Unter dem Einfluss von wegweisenden Psychopathen, Proleten und Kaputtniks wie Flipper, Black Flag, Motörhead und Swans entwickelten der Gitarrist und Hobby-Teufel King Buzzo und Trommelvieh Dale Crover einen Stil, der damals nicht weniger en vogue hätte sein können: Während sich Hardcore-Bands weltweit in Geschwindigkeit und Härte überboten, wateten die Melvins mit 30 Beats pro Minute knietief durch den 70er-Rockschlamm – und lieferten nebenbei eine Neudefinition von Heavyness ab.

Die Langsamkeit ihrer Songs, das Markenzeichen der Band, wurde schnell zu einem Missverständnis. Schon die frühen Veröffentlichungen, 10 Songs (1986) und Gluey Porch Treatments (1987), demonstrieren, dass die Melvins sich nicht auf Slow-Motion-Lurchis reduzieren lassen. Abgesehen von einigen kurzen, schnellen Nummern sind auch ihre vermeintlich typischen Stücke immer wieder durchsetzt von hektischen Temperamentsausbrüchen. Darin scheinen die Melvins Vertretern anderer Lager, etwa Metallica und Voivod, näher zu stehen als allem, was die Post-Punk-Landschaft bis dahin hervorgebracht hatte.

Ende der 80er begannen mit Sonic Youth, Hüsker Dü und anderen die klassischen US-Indie-Rock-Bands (auch) kommerziell durchzustarten. Von Seattle aus bescherte das Label Sub Pop der Welt den Grunge und Gruppen wie Mudhoney oder Nirvana – beides übrigens Melvins-Kumpels, die sich kurze Zeit später in der Major-Welt wieder fanden. Die Melvins selbst, ein ewiger Geheimtipp, lieferten derweil ein Schlüsselwerk ab, mit dem sie ihren Ruf als sadistische Nervensägen festigten: Lysol (1992) ist ein einziger Bluff, ein großes Versprechen, das nicht eingehalten wird, ein langer Spannungsbogen um seiner selbst willen, voller Andeutungen, ohne Auflösungen. Keine Höhepunkte. Amputierter Rock mit sehr speziellem Humor.

Zu dieser Zeit hatte Kurt Cobain sie so oft gedroppt, dass nach allen anderen nun auch die Melvins bei einem Major-Label unterkamen und drei für ihre Verhältnisse beinahe konventionelle Alben aufnahmen, die sich zum übrigen Output der so genannten Seattle-, Grunge-, College- und Alternative-Rock-Szene aber in etwa verhielten wie Rio Reisers Augen zu Rex Gildos Frisur. Als sich zeigte, dass sich mit Heulsusen wie Pearl Jam und Trittbrettfahrern à la Stone Temple Pilots mehr Kasse machen ließ als mit mehrfach gebrochenem Heavy-Rock, wurden die Melvins 1997 wieder in den Untergrund entlassen. Sie landeten schließlich bei Ipecac, dem damals neuen Label von Mike Patton, seines Zeichens Ex-Sänger von Faith No More, Mitbegründer der zappaesken Zirkusrocker Mr. Bungle und zuletzt mit Soloarbeiten und der All-Star-Gruppe Fantômas in Erscheinung getreten. Bei Ipecac erschienen ab 1999 der letzte Melvins-Geniestreich, die Trilogie The Maggot, The Bootlicker und The Crybaby, sowie Wiederveröffentlichungen.

Pattons eigenes aktuelles Projekt heißt Tomahawk und ist das zahmste, worauf er sich seit den enorm einflussreichen Faith No More eingelassen hat. Die Band besteht aus durchweg tollen Musikern, neben Patton selbst sind der Ex-The Jesus Lizard-Gitarrist Duane Denison und der Drummer John Stanier, früher bei Helmet, dabei. Dazu kommt Kevin Rutmanis, der unter anderem bei den Melvins spielen darf, die bereits so einige Bassisten verschlissen haben.

Überflüssig zu sagen, dass Patton auch bei Tomahawk alle Register seines gesanglichen Könnens zieht. Die Band spielt dazu originellen Rock mit Haken und Überraschungen und klingt dabei manchmal wie Faith No More in böse und ohne Pathos. Und wenn man den kursierenden Fotos trauen kann, pflegen Tomahawk überdies in Polizeiuniformen aufzutreten.

Sonntag, 13. Juli, 21 Uhr, Fabrik