Aufbau Austria

Konturlos und sarkastisch: Elfriede Jelineks „Das Werk“ zur Eröffnung der Autorentheatertage am Thalia

Bei Elfriede Jelinek ist die Sprache ein Kampfplatz. Die österreichische Dramatikerin bemächtigt sich der Worte, Gemeinplätze und Phrasen und schmiedet ihre Waffen daraus. Waffen die sie gegen Doppelmoral, Nationalismus und die österreichische Eigenart des selektiven Vergessens einsetzt.

In ihrem jüngsten Stück Das Werk rechnet sie mit dem österreichischen Wiederaufbau ab. Im Mittelpunkt steht das gigantische Speicherkraftwerk in Kaprun, nationales Symbol für den gelungenen Aufschwung Austria. Dass einst Hermann Göring den Spatenstich für das Vorzeigebauwerk legte und während des NS-Regimes hunderte Zwangsarbeiter auf der Baustelle ums Leben kamen, wird heute gerne totgeschwiegen.

Das Thalia hat Nicolas Stemanns Burgtheater-Inszenierung als Auftakt für die Hamburger Autorentheatertage gewählt und dem Publikum damit einiges zugemutet. Endlose Wortkaskaden ergießen sich in den Zuschauerraum, teilweise so hastig vorgetragen, dass das Zuhören zum Hochleistungssport wird.

Als Sprachrohre dienen Jelinek drei Heidi- und Geißenpeter-Klone, Auswüchse der österreichischen Skifahr- und Wohlstandsgesellschaft. Die plantschen im wasserbedeckten Bühnenraum herum und ergehen sich in Österreichtümelei und Verteidigungsrhetorik. Unterbrochen werden die Endlos-Monologe nur durch die Auftritte eines bärbeißigen Alp-Öhis, der mit Todesverachtung abgetrennte Gliedmaßen auf die Bühne schleudert.

Wem die gehören? Den längst unter dem Bauwerk verscharrten Zwangsarbeitern oder den in der Kapruner Gletscherbahn umgekommenen Touristen, die auch immer thematisch im Raum schweben? Für Jelinek ist das eins. Munter zieht die Autorin Parallelen zwischen Vergangenheit und Zukunft: „Der Tourist ist die äußerste Parodie des Arbeiters im Gebirg, und auch er geht oft verloren und verliert selber sein Leben.“

Zu weit hergeholt? Geschmacklos? In der Tat. Jelinek hat sich in ihrer imaginären Gebirgswelt verstiegen. Das Werk hat keine Kontur, es gibt nur überbordende Sprache und triefenden Sarkasmus. Das allein trägt aber noch kein Theaterstück. Theater braucht Emotion und starke Bilder, und an denen mangelt es der Inszenierung. Da helfen auch das Herumschleudern von Leichenteilen und die genussvolle Demontage von zwei Twin-Tower-Modellen nichts.

Die einzig starke Szene ist die, in der Textvorlage und Regisseur endlich einmal die rein intellektuelle Ebene verlassen: Hinter zwei Glaskästen taucht ein murmelnder „Gefangenenchor“ auf. Die Anklage der verstorbenen Zwangsarbeiter bleibt ein unverständliches Raunen. Ein gespenstischer Moment. Gerade weil er sprachlos ist. Carolin Ströbele