Ganz großer Bohrer

Im Streit um Niedersachsens Kieferorthopäden sollen jetzt die Kassen die Versorgung sichern. Knifflig, meint die unabhängige Stiftung Gesundheit

Stiftung Gesundheit: Eltern, die es für ihre Kinder vertreten können, sollten am besten abwarten

aus HannoverKai Schöneberg

Eltern, deren Kinder eine Zahnspange brauchen, müssen derzeit in Niedersachsen ziemlich starke Nerven haben. Gestern ging der Krach um die Kieferorthopäden, die ihre Kassenzulassungen zurückgegeben haben, in eine neue Runde. Die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZVN) kündigte an, sie prüfe rechtliche Schritte gegen die Entscheidung von Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Krankenkassen mit der Orthopäden-Versorgung zu beauftragen.

Im seit Monaten tobenden Streit zwischen Ministerium, Kieferklempnern und Kassen hatte von der Leyen am Mittwoch endlich zum ganz großen Bohrer gegriffen. Sprich: Zum ersten Mal in Deutschland entzog ein Ministerium einer Kassenzahnärztlichen Vereinigung den Auftrag, die Versorgung in mehreren Regionen sicherzustellen. Betroffen sind zunächst Cuxhaven, Hildesheim und die Region Hannover.

Hier gibt es derzeit besonders lange Wartelisten für Kassenpatienten mit schiefen Zähnen, zumeist Kinder und Jugendliche. Allein in Raum Hannover haben schon zwölf von 21 Kieferorthopäden ihre Zulassung zurückgegeben. Landesweit wollen bereits fast 60 von insgesamt 200 Fachzahnärzten nicht mehr zu Kassenhonoraren arbeiten. So gaben sie ihre Zulassung zurück – und riskieren mit diesem Schritt, sechs Jahre nicht mehr mit den Krankenkassen abrechnen zu können. Angeblich bedeutet die seit Januar geltende Honorarordnung Umsatzeinbrüche in Höhe von 40 Prozent. Schon ist von Entlassungen in den Praxen die Rede.

Der Staat dürfe sich nicht erpressen lassen, sagte von der Leyen: „Wenn man kollektiv aus dem System aussteigt, muss man damit rechnen, dass man nicht mehr das Monopol hat.“ KZVN- Sprecher Julius Beischer erwartet, dass weitere Kieferorthopäden ihre Zulassung zurückgeben – sich also die Lage verschärft. Die Sozialministerin könne nicht beweisen, dass es ungesetzliche Absprachen der Ärzte gegeben habe. „Wir dürfen die Mediziner nicht kriminalisieren.“

Und die Patienten? „Wer kein Vertrauen mehr in seinen Kieferorthopäden hat, sollte ihn wechseln“, rät Peter Müller, Sprecher der unabhängigen Stiftung Gesundheit, die ihren Sitz in Kiel hat. Auch die Kassen, die jetzt für die Orthopäden-Versorgung zuständig sind, hätten ökonomische Interessen, gibt Müller zu bedenken. In diesem Fall, möglichst günstig die Lücken zu füllen.

Deshalb rät er auch davon ab, zu den Zahnärzten mit „Erfahrungen“ im Bereich der Kieferorthopädie zu gehen, wie es die Krankenkassen derzeit ihren Kunden raten. „Die Hiwis, die da jetzt einspringen sollen, würde ich nicht an meinen Mund lassen“, sagt Müller. Anders sehe die Lage bei den Zahnkliniken aus, die ebenfalls nach Kassen-Plänen aushelfen sollen. Hier arbeiteten Experten mit Erfahrung, betont der Stiftungs-Sprecher. Eltern, die es für ihre Kinder vertreten können, sollten am besten warten, „bis sich das Getümmel gelegt hat“, betont Müller. „Oder, wenn es nicht zu weit ist, sich in Hamburg oder NRW behandeln lassen.“