GEWALT GEGEN FRAUEN – DIE TÜRKEI BRAUCHT EINEN MENTALITÄTSWECHSEL
: Gute Gesetze sind nicht genug

Das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen in der Türkei ist deprimierend und empörend. Nach einem Report von amnesty international sind vermutlich rund 50 Prozent aller Frauen Opfer häuslicher Gewalt – des Ehemanns, des Vaters oder der Brüder. Selbst wenn diese Zahl zu hoch gegriffen sein sollte, erscheint dahinter eine Gewaltkultur, deren Wurzeln weit in die patriarchalische Geschichte zurückreichen. Der Staat muss mehr gegen die Gewalt in der Familie tun, fordern die Autorinnen. Mord an Familienmitgliedern muss wie ein anderer Mord behandelt werden und darf nicht länger als minderschweres Delikt bagatellisiert werden.

Zum einen bewegt sich die Regierung im Rahmen des Reformprozesses, den die Türkei auf dem Weg in die EU derzeit durchschreitet, tatsächlich in die von amnesty geforderte Richtung. In der demnächst verabschiedeten Novelle des Strafgesetzbuches soll es für den so genannten Ehrenmord (weil angeblich die Ehre der Familie verletzt wurde) keine mildernden Umstände mehr geben. Doch ein wirksamer Schutz für bedrohte Frauen ist das noch nicht. Dafür bedarf es eines tief greifenden Mentalitätswandels, der vor allem auf dem Land und in den Armenvierteln der Großstädte noch aussteht. Dafür tut die islamisch geprägte Regierung allerdings wenig, weil sie eher ein extrem konservatives Familienbild als die individuellen Rechte der Frau ins Zentrum stellt. Deshalb fällt es ihr auch schwer, zu akzeptieren, dass der Staat durch Institutionen wie Frauenhäuser für Schutz sorgen muss. Der wichtigste Schutz vor Gewalt aber ist Bildung und Ausbildung für Mädchen – aber auch für den Rest der Familie. Auch hier stimmt das Engagement, mit dem die amtierende Regierung sich vor allem für die religiös geprägte Ausbildung einsetzt, nicht sehr optimistisch.

Die Hoffnungen stützen sich deshalb auf eine wachsende Zahl unabhängiger Initiativen von Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsorganisationen, die das Thema „Gewalt gegen Frauen“ immer mehr zum öffentlichen Skandal machen. Nur so wird die Veränderung in den Köpfen zu bewerkstelligen sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH