Desaströses Zwischenzeugnis für Stolpe

Die verkehrspolitische Bilanz der Allianz pro Schiene macht aber kurz vor Rücktrittsforderung plötzlich Halt

BERLIN taz ■ Mautdesaster, Herumeiern bei der Besteuerung von Flugbenzin, drastische Kürzungen bei Investitionen in die Bahn: Als „Armutszeugnis auf ganzer Linie“ hat die Allianz pro Schiene (APS) die Verkehrspolitik der Bundesregierung gewürdigt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen habe „Rot-Grün noch nichts von den Maßnahmen zur Stärkung der Schiene umgesetzt, die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen sind“. Nur ein Güterverkehrsprogramm, das Gleisanschlüsse für Firmen fördert, verbuchte die APS positiv.

In der Allianz sind 15 Verkehrs- und Umweltverbände vom Automobilclub AVE bis zu BUND und VCD sowie zahlreiche Bahn-Gewerkschaften und über 50 Unternehmen als Fördermitglieder organisiert. Den Rücktritt von Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) wollte der Allianz-Vorsitzende Norbert Hansen zwar nicht fordern. „Das sollte man nicht tun, solange man keine Alternative in der Tasche hat“, sagte Hansen gestern in Berlin. Doch seit Stolpe das Verkehrsressort leite, habe „die Reformfreudigkeit drastisch nachgelassen. Eine Politik pro Schiene gibt es kaum noch.“ Flugbenzin sei beispielsweise weiterhin billiger als Strom und Diesel für die Bahn. „Wenn Stolpe da sagt, die Billigflieger und die Deutsche Bahn seien keine Konkurrenten, ist mir das völlig unverständlich“, so Hansen. Der Verkehrsminister verbreite „Glauben und Hoffnung. Das ist vielleicht auch das, was ein Kirchenmann am besten kann. Aber es reicht nicht.“

Hauptkritikpunkt der APS ist die – überwiegend durch Maut-Ausfall bedingte – Kürzung der Bahn-Investitionen. Von 4,1 Milliarden Euro im Jahr 2003 soll der Betrag bis 2008 auf 2,8 Milliarden gesenkt werden. Nach Abzug der Instandhaltungskosten stünden dann durchschnittlich nur noch 450 Millionen Euro pro Jahr für den Ausbau des Netzes zur Verfügung. „Das reicht gerade mal für ein paar Signalanlagen“, Deutschland werde so zum Schlusslicht in Europa. Während die staatlichen Investitionen in die Schiene in Frankreich die Mittel für den Straßenbau um 150 Prozent, in Österreich um 75 Prozent und selbst in Großbritannien um 7 Prozent überstiegen, lägen sie hierzulande 36 Prozent darunter. Pro Kopf zahle Deutschland laut APS nur noch 37 Euro jährlich für Erhalt und Ausbau der Schieneninfrastruktur. Spitzenreiter ist hier die Schweiz (173 Euro) vor Schweden (162 Euro), Österreich (133 Euro) und Großbritannien (95 Euro). Die APS fordert daher, zur Kompensation der verkorksten Lkw-Maut den Anteil der Schiene an künftigen Maut-Einnahmen deutlich über die bislang geplanten 38 Prozent zu erhöhen.

Das Verkehrsministerium mochte gestern die APS-Bilanz nicht kommentieren: Es handle sich um einen „Lobbyverband mit entsprechend einseitiger Sicht der Dinge“, so ein Sprecher. „Wir müssen nicht über jedes Stöckchen springen, das man uns hinhält.“ STEFFEN GRIMBERG