Köpfe voller Sprengstoff sind die Gefahr

Nach dem Anschlag von al-Chobar wird in Saudi-Arabien über die Wirksamkeit der Sicherheitskräfte diskutiert. Aber auch über die Frage, warum die Terroristen Zulauf finden. Doch weiter reichende Reformansätze stoßen an die Grenzen des Systems

AUS RIAD KARIM EL-GAWHARY

Der Schock ist groß. Nach dem blutigen Anschlag auf eine Ausländerwohnanlage in der ostsaudischen Stadt al-Chobar, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen, läuft die Fahndung nach Tätern und Hintermännern auf Hochtouren. Doch gleichzeitig ist im ganzen Land eine Diskussion über die Effektivität der Sicherheitskräfte, aber auch über gesellschaftliche Gründe entbrannt, die den Militanten immer wieder Rekruten zuführen.

Im Fernsehen wechseln sich Scheichs, Professoren und Regierungsbeamte ab, die das Attentat als unislamisch verurteilen und über irregeleitete Jugendliche diskutieren. Wenngleich nicht öffentlich in den Medien, so wird doch privat die Frage gestellt, wie drei der Terroristen nach dem Anschlag von al-Chobar entkommen konnten.

„Die Sicherheitskräfte haben die klare Order, keine Zivilisten zu gefährden“, verteidigt Salah al-Zahrani, ehemaliger Berater des Innenministers, das Vorgehen der Polizei. „Wenn wir sie jetzt nicht erwischt haben, dann erwischen wir sie morgen, ohne andere zu gefährden“, sagt das Mitglied des Sicherheitsausschusses des Schura-Rates, des vom König bestimmten Parlaments. Und was die mögliche Zusammenarbeit zwischen Polizei und Militanten angeht: „Es gibt Probleme in den besten Familien, aber was die Institution der Polizei als Ganzes angeht, ist dieser Vorwurf keinesfalls haltbar“, antwortet der Polizeigeneral a. D. Die Täter seien in der Gesellschaft zunehmend isoliert. Außerdem solle man nicht vergessen, dass die Polizei viel unternommen habe. Über 600 Militante säßen im Gefängnis.

Geht es nach dem saudischen Politologen Abdallah al-Otaibi, muss noch viel weiter ausgeholt werden. Neben Sicherheitsmaßnahmen fordert er eine Reform des Erziehungssystems und eine Überarbeitung der Schulbücher, die immer noch eine radikale islamistische Ideologie nährten. „Doch die Regierung steht vor einem Dilemma. Wenn sie diese Reform zu schnell durchzieht, wird es heißen, sie agiere im Namen Amerikas“, erklärt er.

Das Problem mit den bisherigen Anschlägen, glaubt Otaibi, war, dass viele Saudis sich auf den Standpunkt zurückgezogen hätten, „was hat das mit mir zu tun, das ist ein Krieg zwischen Militanten und Regierung“. Doch da findet gerade ein Umdenken statt. Mit den letzten Anschlägen in Janbu und al-Chobar zielen die Militanten auf die wirtschaftliche Grundlage des Landes. Spätestens dann geht es alle an.

„Sie greifen friedliche Ausländer an, andere Araber und Muslime, unsere eigenen Sicherheitskräfte und jetzt sogar unsere wirtschaftliche Infrastruktur, der das Land seinen Reichtum verdankt. Wir müssen alle Register ziehen“, fordert die Tageszeitung Al-Watan. Doch jeder in Saudi-Arabien weiß, wo den Registern Grenzen gesetzt sind. Die Macht des Könighauses wird seit Gründung des Staates von den wahhabitischen Scheichs legitimiert und die stehen für eine besonders konservative Ausrichtung des Islam, die den radikalen Ideen der Militanten nicht unähnlich ist. „Die Macht der Wahhabiten zu beschneiden, ist, wie wenn sich das Königshaus selbst ein Bein abschneidet – es würde umfallen“, erklärt ein saudischer Journalist. So etwas sagt er aber nur im Auto auf der Fahrt nach Hause, und bitte „ohne meinen Namen zu nennen“.

Professor Chalil al-Chalil, ein liberaler Rechtsgelehrter, der an der Islamischen Universität Muhammad Bin Saud Imame ausbildet, ist da mutiger. Er möchte das Zusammenspiel zwischen offiziellem konservativem Establishment und radikalem islamistischem Gedankengut durchbrechen. „Was wir jetzt brauchen, ist ein völlige Erneuerung der religiösen Institutionen und selbst der islamischen Ideologie“, fordert er offen. Bisher habe die Regierung darauf gewartet, dass sich die religiösen Institutionen selbst reformieren, das reiche jetzt nicht mehr aus.

Außerdem sollten nicht die islamischen Institutionen die Regierung kontrollieren, sondern umgekehrt. „Nicht das Wort der Scheichs, sondern Rechtsstaatlichkeit sollte zählen“, sagt er. Früher habe es nur das Königshaus, die Stammesoberhäupter und Scheichs gegeben. „Heute gibt es Universitätsprofessoren, die Medien und Geschäftsleute und es ist an der Zeit, dass das Könighaus eine breitere Legitimitätsbasis aufbaut.“

Noch steht er allerdings auf verlorenem Posten. Al-Qaida habe die Köpfe der Muslime genauso vergiftet wie die Fernsehbilder aus dem Irak und Palästina, sagt er. Und das ist seine größte Sorge: „Ein Hirn voller Sprengstoff ist wesentlich gefährlicher als ein mit Bomben bepacktes Auto.“