„Nützliche Erfahrungen“

Ernesto Kroch, der erst vor den Nazis, dann vor der Junta in Uruguay floh, liest im Kölibri

„Solange das Gedächtnis nicht versagt, sind alle Erfahrungen, die guten wie die schlechten, von Nutzen“ schreibt Ernesto Kroch in seiner Autobiographie Heimat im Exil – Exil in der Heimat.

Liest man die jüngst erschienene Neuauflage, ist diese unprätentiöse Schlussfolgerung erstaunlich. So erfuhr Kroch bereits als Jugendlicher die Gewaltsamkeit des NS-Regimes, als er 17-jährig unter NS-Herrschaft wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zunächst in Einzelhaft kam, dann in ein Gefängnis überstellt und schließlich in das KZ Lichtenburg deportiert wurde. Er und andere Gefangene erfuhren an diesen Stätten der nationalsozialistischen Verfolgung physische und psychische Folter; nach der Entlassung hatte er 14 Tage Zeit, um den Herrschaftsbereich des Deutschen Reiches zu verlassen. Seine Eltern sah Kroch nie wieder; nach der Konfiskation jüdischen Vermögens konnten sie, aber auch Verwandte und FreundInnen, nicht mehr für die Kosten der Ausreise und der Visumsauflagen aufkommen.

Vor diesem Hintergrund ist Krochs vergleichsweise optimistisches Fazit zwar überraschend, erklärt sich aber aus einer Vita, die sich dem Widerstand gegen Unrecht und Ungerechtigkeit gewidmet hat. Die bedeutsame Unterscheidung zwischen politischer und rassisierter Verfolgung macht sich hier bemerkbar: „Als Gegner des Faschismus, nicht als Opfer ihrer wahnwitzigen Rassentheorie verhaftet, wusste ich: Es gab einen deutschen Widerstand.“

Kroch hatte aufgrund seiner politischen Überzeugung und seines Engagements das Glück, zeitlebens in Kontakt zu Menschen zu kommen, die sich gegen Willkürherrschaft und soziale Ungerechtigkeit wandten. Ehemalige GenossInnen aus der Geburtsstadt Breslau, die er durch den deutsch-jüdischen Jugendbund „Kameraden“ und die Jugendorganisation der antistalinistischen Kommunistischen Partei KPO kennen lernte, begleiteten seinen Lebensweg.

Auch in seiner neuen Heimat Uruguay kam Kroch in Berührung mit Menschen, die sich im Stadtteil und in den Betrieben organisieren. Zwar musste Kroch 65-jährig für einige Jahre das Land verlassen, weil ihm unter der Militärdiktatur die Inhaftierung mit erneuter Folter drohte. Nach dem Sturz der Junta kehrte er jedoch nach Uruguay zurück und nimmt dort weiterhin aktiv am politischen Leben teil. Indem Kroch das Schreiben als Form der Geschichtsüberlieferung begreift, trägt er dazu bei, dass das Gedächtnis nicht versagt und die Vielfalt der Erfahrungen im Widerstand überliefert bleiben.

Doro Wiese

Ernesto Kroch: „Heimat im Exil – Exil in der Heimat.“ Hamburg 2004, 200 S., 14 Euro. Lesung: Do, 3.6., 19.30 Uhr, Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 12