„Ein interessantes Filmland“

Ab morgen widmet sich das Programm „Maple Movies“ gut einen Monat lang dem „jüngeren“ kanadischen Film. Ein Gespräch mit David Kleingers,der die Reihe zusammengestellt hat, über die besonderen Bedingungen der kanadischen Filmlandschaft und den Unsinn der Idee von nationalem Kino

Interview: ALEXANDER DIEHL

Der Filmwissenschaftler (und regelmäßige taz hamburg-Autor) David Kleingers zeichnet – neben dem mitveranstaltenden Metropolis-Kino – verantwortlich für die Zusammenstellung des Programms Maple Movies.

taz hamburg: Was ist die Idee hinter dem jetzt gezeigten Programm?

David Kleingers: Mein Ansatz war, dass ich über die Jahre immer wieder gute kanadische Produktionen auf Festivals gesehen habe, die dann – wenn überhaupt – in Deutschland nur im Fernsehen gelaufen sind. Andererseits war da noch ein persönliches Interesse durch die Übersetzung eines Aufsatzes über Kanada, die ich angefertigt habe. Das war kein besonders guter Text, aber ich bekam einen Eindruck davon, dass Kanada durch die historische Entwicklung ein interessantes Filmland ist.

Inwiefern?

In den 1930er Jahren gab es, das behaupten die Quellen, ganze zwölf kanadische Spielfilme, von denen keiner erhalten ist. Seit der Einführung des kommerziellen Kinos haben die USA den kanadischen Filmmarkt beherrscht, auch heute sind die Kinoketten und Verleihe in US-Besitz. Nach dem 2. Weltkrieg begann die große dokumentarische Tradition. Damals war Kanada Vorreiter etwa des cinema verité. Im Spielfilm ist die Entwicklung erst ab Ende der 60er interessant, und sie fällt zusammen mit den politischen Umwälzungen: De Gaulles berühmte „Québec libre“-Rede war 1967 die Initialzündung für die separatistische Bewegung in Quebec. Daraus entwickelte sich 1970 eine der größten konstitutionellen Krisen Kanadas – mit Ausnahmezustand und Kriegsrecht. Man hat es da mit zwei unterschiedlichen Kinosozialisationen zu tun: Mit den französischsprachigen Filmemachern begann in den 70er Jahren der internationale Aufstieg des kanadischen Films, denn sie hatten den Vorteil, mit Frankreich einen Absatzmarkt in Übersee zu haben, der noch dazu nicht ganz unbedeutend war. Solche Privilegien kamen den englischsprachigen Filmen lange nicht zu. Das hat sich erst geändert, als David Cronenberg oder Denys Arcand anfingen. In den 80er Jahren kam dann die zweite Generation: Patricia Rozema, Bruce McDonald und natürlich Atom Egoyan.

Die sind auch hierzulande bekannt – aber nicht in der Reihe vertreten. Wie sehr war es denn die Maßgabe, junge, zeitgenössische Arbeiten zu zeigen?

Wir haben es „jüngerer Film“ genannt ... Ein Anspruch war, ganz simpel gesprochen, möglichst viele verschiedene Schauplätze zu haben. Kanada ist ja nicht nur hübsche Landschaft. Da wohnen auch Menschen, die haben da einige der modernsten Metropolen der Welt – diese Kontraste wollten wir auch reflektieren. Gleiches gilt für die Sprachen und Sozialisationen: Die Schauspieler und Regisseure der englischsprachigen Filme sind weniger durch den Hollywood-Mainstream geprägt als vielmehr durch eine etwas diffuse Independent-Tradition oder auch oft durch englische Filme. Da zieht sich ein spröder, schöner Realismus durch, ein poetischer Realismus. Die frankophonen Filme dagegen sind extrem beeinflusst durch die Nouvelle Vague.

Es ist ja Blödsinn, von einem nationalistischen Blick auf Kino auszugehen. Kino ist nicht national, weder wirtschaftlich noch ideologisch, wenn es gutes Kino ist. Aber es gibt natürlich Merkmale. Es ist schon eine eigene Sprache. Zum Teil ist diese Reihe ganz eklektisch entstanden: Filme, die man gesehen hat und von denen man denkt, es sei sinnvoll, sie mit ins Programm zu nehmen. Komischerweise ergibt sich dann immer irgendwann ein Muster, man entdeckt auf einmal Parallelen. Das ist Interpretationsarbeit: Sobald man irgendein Arrangement hat, wird man immer einen Sinnzusammenhang erkennen.

Eröffnung mit Flower & Garnet (in Anwesenheit von Regisseur Keith Berman und Produzentin Trish Dolman): morgen, 20 Uhr, Metropolis. Die Reihe läuft bis zum 5. August im Metropolis