Ein weiblicher Westerwelle für Brüssel

Die große Frau im schwarzen Hosenanzug hatte schon gewonnen, bevor sie ans Rednerpult trat. Silvana Koch-Mehrin musste die vor ihr sitzenden Delegierten nicht mehr von sich überzeugen. Die Frauen und Männer auf dem Europaparteitag der FDP in Berlin kürten sie am Wochenende mit mehr als 95 Prozent der Stimmen zur Spitzenkandidatin für die Europawahl. Ihre Partei ist froh, jemanden wie sie zu haben. Denn sie ist eine Art weiblicher Guido Westerwelle für Brüssel.

Das meinen die Blau-Gelben sehr wohl als Lob. Denn mit der 38-Jährigen hat die FDP eine Vertreterin im EU-Parlament, die der kleinen Partei gehörig Aufmerksamkeit beschert. Mit ihr als Nummer eins zogen die Freidemokraten 2004 nach zehn Jahren wieder ins Brüsseler Plenum ein. Für die Europawahl Anfang Juni stehen die Chancen erneut bestens. Das hat weniger damit zu tun, dass die Wähler wüssten, was Koch-Mehrin im wichtigen Haushaltsausschuss bewirkt hat. Vielmehr versteht es die promovierte Historikerin perfekt, das Interesse der Öffentlichkeit an ihr zu nutzen.

Die Zeitschrift Bunte fasste das dabei entstehende Medienbild der 1,84 Meter großen Frau aus Wuppertal im Jahr 2006 so zusammen: „Kühle Strategin im Europa-Parlament in Brüssel, trotzdem viel Sex-Appeal. Mama-Faktor: Sie zeigt, dass man mit Kids Karriere machen kann.“ Die Mutter dreier Töchter lebt mit ihrem Lebenspartner James Candon, einem irischen Rechtsanwalt, seit 1997 in Brüssel.

Auf ihrer Internetseite erwähnt Koch-Mehrin nur zwei persönliche Auszeichnungen, erstaunlicherweise auch den Titel Frau des Jahres, im Jahr 2000 verliehen von der Zeitschrift Freundin. Für Aufsehen sorgte sie, als sie ihren Babybauch für eine Fotoserie im Stern fotografieren ließ. Mit ihrem Buch „Schwestern – Streitschrift für einen neuen Feminismus“ mischte sie sich 2007 in die frauenpolitische Diskussion ein.

Wie zur Bestätigung ihres Images klagte die Frau, die über „Historische Währungsunionen“ promoviert hat, in ihrer Bewerbungsrede über den bürokratischen Aufwand, als sie Wickelräume im Brüssler Parlament einführen wollte. Das menschelt mehr als ihr Daueranliegen: das Ende des aufwendigen und teuren „Reisezirkus“ zwischen den Sitzungsorten Brüssel und Straßburg. Zudem solle sich die EU aus der Sozialgesetzgebung ihrer Mitgliedsländer heraushalten.

Koch-Mehrin könnte einmal Guido Westerwelles Konkurrentin werden. Als der FDP-Chef Koch-Mehrin zur Kandidatenkür gratulierte, wirkte der hochgewachsene Mann neben der Frau, die stets Schuhe mit hohen Absätzen trägt, überraschend klein. MATTHIAS LOHRE