„Menschliches Gesicht“ für Reformen

Indiens von der Kongresspartei geführte neue Regierung zeigt in ihrem jetzt vorgelegten Programm einen leichten Linksruck in der Sozial- und Wirtschaftspolitik. Versprochen werden stärkere Bildungsausgaben und mehr öffentliche Ämter für Frauen

Das oft missbrauchte Antiterrorgesetz soll wieder abgeschafft werden

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Zwei Wochen nach ihrem Wahlsieg hat Indiens neue Regierungskoalition der Nationalen Progressiven Allianz ihr Programm verabschiedet. Das überraschende Wahlergebnis hatte ein breites Spektrum siegreicher Parteien hervorgebracht, die vor dem Urnengang außer Sitzabsprachen keine gemeinsamen Ziele festgelegt hatten. Diese wurden am Donnerstagabend der Öffentlichkeit präsentiert.

Das „Gemeinsame Minimalprogramm“ beeinhaltet eine deutliche Repositionierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dabei sollen die bisherigen Wirtschaftsreformen fortgesetzt werden, um ein „nachhaltiges Wachstum von 7 bis 8 Prozent pro Jahr“ zu ermöglichen. Sie sollen jedoch „ein menschliches Gesicht“ erhalten, indem sie auch den benachteiligten Gruppen zugute kommen. Der Markt wird offensichtlich als nicht fähig angesehen, dies zu tun. Stattdessen wird wie zu früheren Zeiten dem Staat wieder eine stärkere Rolle zugesprochen.

Dagegen soll die ideologische und repressive Rolle des Staates wieder eingeschränkt werden. So verspricht die Regierung, das umstrittene Antiterrorgesetz, das zu häufigem Missbrauch etwa gegen Muslime in Gujarat geführt hat, wieder abzuschaffen. „Soziale Harmonie“ zwischen den Gemeinschaften wird als oberstes Ziel deklariert, und das Gesetz soll in seiner ganzen Schärfe gegen „fundamentalistische Strömungen“ angewandt werden. Auch Bildung und Gesundheit sollen endlich die ihnen zukommende zentrale Rolle spielen. Die Ausgaben für den Unterricht vor allem in der Grundstufe sollen auf 6 Prozent des Bruttosozialprodukts erhöht werden.

Frauen sollen endlich in den Genuss eines Gesetzes kommen, das ihnen in allen gewählten Staatsorganen ein Drittel der Sitze garantiert. Die von den Hindunationalisten forcierte toleranzfeindliche Neufassung von Schulbüchern, besonders im Geschichtsunterricht, soll sofort gestoppt werden.

Der deutlichste Kurswechsel findet in der Wirtschaftspolitik statt. Die Reform der Landwirtschaft wird zentraler Bestandteil, nachdem sie in den letzten zehn Jahren im Schatten der anderen Sektorreformen stand. Dies führte zur krisenhaften Entwicklung der ländlichen Beschäftigung, sichtbar etwa in zunehmender Unterernährung und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich.

Die einzelnen Maßnahmen zur Lösung der Krise zeigen allerdings wenig Imagination. Sie kehren eher zu alten staatlichen Mustern zurück, statt zu versuchen, die ländliche Wirtschaft allmählich an den Markt heranzuführen. So heißt es im Programm, das krisengeschüttelte kooperative Kreditwesen und Produktionskooperativen würden mit einem neuen Gesetz „gesund gepflegt“ werden. Die Verschuldung der Bauern werde durch wohl kaum je zurückgezahlte Darlehen gelockert und „faire und Gewinn bringende Preise“ würden sichere Minimaleinkommen garantieren.

Die Handschrift der linken Parteien, die die Regierung unterstützen, zeigt sich auch in anderen Bereichen: Gewinn bringende Staatsunternehmen sollen nicht privatisiert werden. Ausländische Direktinvestitionen sind willkommen, sollen aber möglichst in Hochtechnologie, Infrastruktur und Exportindustrien fließen. Das geplante Gesetz über die Lockerung der Kündigungsschutzes von Arbeitskräften soll in der Schublade verschwinden. Geht es nach der Linken, soll auch das vielfach gepriesene neue Elektrizitätsgesetz, das den tief verschuldeten staatlichen Energiesektor privaten Spielern öffnet, überarbeitet werden.