HONGKONG: DAS PRINZIP „EIN LAND – ZWEI SYSTEME“ DROHT ZU SCHEITERN
: 50 Jahre lassen sich nicht planen

In Hongkong schrillen die Alarmglocken. Der dritte Rücktritt eines Radiomoderators politischer Talkshows in wenigen Wochen zeigt, dass die Meinungsfreiheit bedroht ist. Die aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Familie zurückgetretenen Journalisten berichten von Einschüchterungen Pekinger Politiker und prochinesischer Kreise in Hongkong. Dabei geht es nicht nur um Meinungsfreiheit. Die zentrale Frage ist, ob die chinesische Zusage bei Hongkongs Rückgabe 1997: „Ein Land – zwei Systeme“, noch funktioniert.

Das Prinzip verspricht Hongkong für 50 Jahre Autonomie und alle bisherigen Freiheiten. Die Formel basiert auf Pekings Einsicht, dass es auch für China besser ist, wenn Hongkong nicht das System der Volksrepublik übernimmt. Peking hielt sich bisher weitgehend an sein Versprechen, doch jetzt werden die Konstruktionsfehler von „Ein Land – zwei Systeme“ immer offensichtlicher: Denn das Prinzip basiert auf einem überholten britischen Kolonialsystem und blendet gesellschaftliche Entwicklungen aus. So sagte Peking zu, Hongkongs Freiheiten unangetastet zu lassen, weil die Stadt eben auch unter London keine Demokratie war. Doch Hongkongs Bevölkerung wird politisch immer aktiver. Sie lässt sich nicht mehr mit dem System des 19. Jahrhunderts abspeisen, sondern will eine Direktwahl ihres gesamten Parlaments und ihres Regierungschefs. Peking hatte dies einst ab 2007 in Aussicht gestellt, doch jetzt auf unbestimmte Zeit verschoben. Das kollidiert nicht nur mit Hongkongs politischer Dynamik, sondern zeigt auch eine weitere Schwäche des Prinzips „Ein Land – zwei Systeme“. Das ließ offen, wer wen stärker beeinflusst und wer das letzte Wort hat. Für Peking stand das nie in Zweifel. So ist Hongkongs von Peking bestimmter Regierungschef längst der Vollstrecker der Volksrepublik in Hongkong und nicht umgekehrt der Vertreter der Bevölkerung, wie das bei einer Direktwahl der Fall wäre. Damit zeigt das Prinzip „Ein Land – zwei Systeme“ schon nach sieben Jahren seine Grenzen. Kein Wunder, dass die Taiwaner dieses Modell ablehnen und ihre echte Demokratie behalten wollen. SVEN HANSEN