Gleichbleibend nervöser Brüllton

Es gibt Rockmusiker, die geben auf der Bühne alles. Kurt Cobain zerschlug zum Beispiel regelmäßig sein Gerät und schenkte die Trümmer den Fans in der ersten Reihe. Oder Iggy Pop, der All-Time-Passenger mit der Ganzkörper-Krampfader. Der verteilt fast seine komplette Garderobe meist schon vor dem Auftritt generös an die Jungs vom Backstage-Catering und betritt grundsätzlich halbnackt die Bühne.

Tja – das ist‘s Business. So hart wie die Ruhrpott-Rocker Trend treiben es aber nur wenige. Die hauen sich mit dem Mikro schon mal aus Versehen gegen die Rübe, beim dritten Song, und spielen den Rest des Abends blutig und trotzdem unbeirrt weiter. So berichten zumindest Dabeigewesene voller Ehrfurcht. Außerdem treten sie eher vor 50, nicht vor 50.000 Zuschauern auf – ihr Salär dürfte in einem ähnlichen Verhältnis zu dem eines Iggy Pop stehen.

Sicher ist jedenfalls, dass Trend noch etwas von dieser Welt wollen. Oder zumindest klar machen müssen, dass es Dinge gibt, gegen die man auch mal anschreien muss. Im klassischen Sinne gesungen wird hier nämlich nicht, die durchweg großartigen Texte des Quartetts hüpfen in einem gleichbleibend nervösen Brüllton über dem Rest des puristischen Krachs daher. „Thälmann – das Produkt! Thälmann – die Dienstleistung!“, weht es einem entgegen, flankiert von furztrockenem Gitarrengebrät und einem hoppelnden Schlagzeug. Alles klingt schwer nach den 80er Jahren, nach Neue Deutsche Welle-Trash á la Fehlfarben oder Hans-A-Plast. Gesagt ist damit noch nicht viel, denn nach dem Jahrzehnt der schlechten Kleidung klingen auch VIVA-Rotations-Abonnenten wie Wir sind Helden oder Mia. Mit denen haben Trend aber so viel gemein wie die Autonomen, die in der Hamburger Hafenstraße Häuser besetzt haben, mit den Jungen Liberalen, die das Kiffen legalisieren wollen.

Da keimt Hoffnung, dass Punkrock doch mehr ist als eine farbenfrohe Form von linker Pop-Folklore. Die Band verdoppelt die Sprache der Kulturindustrie einfach, anstatt zu behaupten, sie gehörte nicht dazu. Das erste Album heißt Das Produkt, sie singen von Dienstleistungen, Globalisierung, Faktoren, Prozessen, „Punkt, Linie, Minus 1“ und wer es schon vergessen hatte: der Name ist Trend.

Die Ecken und Kanten der deutschen Sprache mit wellenförmiger Drei-Minuten-Lyrik zu glätten fällt ihnen gar nicht erst ein, sie arbeiten linguistische Stolpersteine extra stark heraus, ihnen gefallen die Buchstaben „k“ und „r“. Ganze Sätze sind im Übrigen was für die Schlagerparade: „Sag nicht mehr Gefühl / Streck die Beine aus, entlaste die Knie / Thrombosegefahr, Thrombosegefahr / Hab‘ eigentlich nichts dagegen / sondern einfach nur genug / Aber bitte, tu mir diesen einen Gefallen / Sag‘ nicht mehr Gefühl.“ Sagt ja keiner. Aber hingehen – sollten alle, auch wenn es wieder blutige Nasen geben könnte. Markus Flohr

Mit „Amen 81“ und „Protestera“, Sonntag, 21 Uhr, Störtebeker