Der Fallanalytiker aus der Vahr

Kriminalhauptkommissar Axel Petermann ist das, wann man landläufig einen „Profiler“ nennt. Sein Geschäft ist die Aufklärung von Morden. Bald soll er eine eigene Abteilung leiten, die sich mit seiner Spezialität beschäftigt: mit der Operativen Fallanalyse

taz ■ Es umweht einen ein Hauch des Philosophischen im Polizeipräsidium in der Vahr. Auf dem ehemaligen Kasernengelände begegnet einem kafkaeskerweise ständig dasselbe Bonmot: „Das Erhabene in mir grüßt das Erhabene in dir“ – an jeder Eingangs-Glastür zu jedem Stockwerk prangt dieser Spruch. Axel Petermann kann das alles nicht schrecken. Der Mann, der phänotypisch ein wenig an den Fußballer Bernd Schuster erinnert, ist im „K 31“ zu Hause, das ist das Kommissariat, welches sich mit „Kapitaldelikten“ beschäftigt. Petermanns Job ist die Aufklärung von Mord und Totschlag – im Schnitt gibt es in Bremen jährlich 10 bis 15 vollendete Tötungsdelikte.

Kriminalhauptkommissar Petermann ist 50 Jahre alt, Vize-Chef der Mordkommission und seit 1980 bei der Kripo. „Vor vier Jahren habe ich mit diesem anderen Kram angefangen“, so Petermann. Das ist natürlich ein wenig kokett ausgedrückt, denn mit diesem „Kram“ meint er die Verfahren der „Operativen Fallanalyse“ (OFA), landläufig auch als „Profiling“ bekannt – und Petermann ist der Bremer Experte auf diesem Gebiet. Der Begriff „Fallanalyse“ soll zeigen, dass, ehe ein Täterprofil erstellt werden kann, erst der gesamte Kriminalfall analysiert werden muss: Dazu gehören nicht nur Daten über den Täter, sondern auch die Fragestellung, welche Personen potenziell ebenfalls Opfer dieses Täters werden könnten.

Um Petermann herum soll demnächst, wohl bereits im Spätsommer, eine eigene Fallanalytiker-Einheit, eine eigene Abteilung gegründet werden, die dann „K 34“ heißen soll. Diese OFA-Dienststelle soll dann – räumlich getrennt vom bürokratischen Tagestrott der Kripo und in enger Kooperation mit Experten aus Psychiatrie und Gerichtsmedizin – über besonders schwierigen Tötungs- und Sexualdelikten brüten.

1999 wurde die bundesweite Einführung von fallanalytischen Verfahren beschlossen: Dazu zählen unter anderem eine ausführliche Tatort- und Tathergangsanalyse, das Erstellen eines Täterprofils (mit Aussagen zu Alter, sozialem Status, Beruf, Bildungsstandard und Lebensweise des Täters) und das Füttern einer in Kanada entwickelten Datenbank mit Namen ViCLAS („Violent Crime Linkage Analysis System): In ihr sollen bestimmte Verhaltensmuster von Straftätern gespeichert werden.

Im Zentrum der in den USA entwickelten Operativen Fallanalyse steht immer die Frage: Warum hat der Täter getötet? Um darauf eine Antwort zu finden, untersuchen Fallanalytiker Petermann und seine Kollegen genau, wie eine Straftat begangen wurde. Dabei kann es zum Beispiel sehr aufschlussreich sein, wenn Täter nach dem eigentlichen Mord weiter am Opfer agieren: „Oft werden dabei lange gehegte Phantasien in die Realität umgesetzt“, berichtet Petermann – da kann er es unter anderem mit Schuhfetischisten zu tun haben oder mit Tätern, die ihren Opfern Körperteile abtrennen.

„Der Tatort ist für uns der wesentlichste Bereich“, sagt Petermann, „dort hat der Täter agiert“. Es gilt Informationen über Täter, Täter-Opfer-Beziehung und die Art der Verletzungen zu sammeln. Unter Umständen verrät bereits die Art der Leichenablage etwas über das Verhältnis von Opfer und Täter: Wurde der tote Körper wie ein Stück Abfall weggeworfen – oder sorgfältig vergraben? Wenn ein Täter die Leiche mit einer Decke zudeckt, könnte das „eine Form der emotionalen Wiedergutmachung“ sein, sagt Petermann: Der Mörder hat es nicht ertragen, sein totes Opfer weiter ansehen zu müssen. Markus Jox