Links ist da, wo der Köhler rechts ist

Bejubelt wie ein Popstar: Noam Chomsky erhielt den Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg. Partystimmung

Da hat er doch schon geholfen, unser neuer Bundespräsident. Mit seiner Wahl lichtet sich der Nebel über alten Fronten. Wie aus dem Koma erwacht, ereifert sich ein Philosophieprofessor in Oldenburg darüber, dass Horst Köhler die Globalisierung gerade als positive Herausforderung dargestellt habe, zu der man sich nur richtig positionieren müsse, um daran zu verdienen. Das fühlt sich irgendwie konservativ an, also rechts, ist daher Mist. So dankt er bei der Podiumsdiskussion „Macht, Markt und Medien“ Noam Chomsky. Der amerikanische Einstein der Linguistik gilt als Eminenz des zweifelsfreien Linksseins. Und er tritt in Oldenburg als Anti-Köhler auf, der die Globalisierung als „Gewaltbegriff“ definiert. Dahinter stünden anonyme Mächte des Kapitals – ihr Ziel: die Gewinnmaximierung. Diese nicht ganz so neue Position gilt als kritisch, also links.

Stilecht propagiert man diese Sprachregelung vor dem Hintergrund des antifaschistischen Widerstands. Weswegen der Carl-von-Ossietzky-Preis an Chomsky verliehen wurde. Dann ist alles ganz einfach. Dann passen auch komplexe Zusammenhänge ins vertraute Raster aus Gut und Böse, reduziert sich die Antiglobalisierungsdebatte auf eine der Haltungen, Empörungen und der Moral: Begriffe der Popkultur wider das Unbehagen an der Welt.

Seattle, Göteborg, Genua, Oldenburg: Intellektuellsein heißt Linkssein. Und das inszeniert man siegessicher dezent. Der Meister selbst erscheint im textilen Oberstudienratsdesign der 60er, zelebriert mit Onkelstimme seinen ruhigen Redefluss: Links braucht kein Pathos mehr. Links ist einfach da, wo man in aller Gelassenheit Recht hat – und unter sich bleibt: Die Debatte mit Chomsky findet im abgelegenen Uni-Audimax statt. Haltestelle Artillerieweg. Da ist man nah dran am Feindbild. Eintritt ist selbstverständlich: frei.

Die Anfahrt gestaltet sich zur Wallfahrt. Attac-Jünger wandern mit Schlafsäcken vom Bahnhof zum Guru. 1,65 Euro für den Bus sind nicht drin. Man ist links, also selbst organisiert. Ähnlich die Ortsansässigen. Sie lassen das Auto daheim und kommen per Rad. Und es sind viele. Schnell sind die 800 Sitzplätze belegt. Links boomt. Die Technik beamt die Veranstaltung für hunderte Fans ins Hörsaalfoyer.

Partystimmung. Macht doch allein schon die geballte Anwesenheit linker Intellektualität das Establishment nervös: Oldenburgs Bürgermeisterin stottert was vom „würdigen Landidaten des Oschefskie-Preises“. Chomsky nimmt Platz in der Mitte des Podiums. Da ist also links. Links von der linken Mitte sitzt mit freundlicher Heavy-Metal-Mähne sein Übersetzer Michael Schiffmann. Ganz rechts: der modisch avancierte FAZ-Kulturredakteur Michael Jeismann. Die Weltordnung ist korrekt wiedergegeben. Blumentopfpalmen umranken sie.

Worüber eigentlich gesprochen wird? „Gegen Krieg“, „Kapitalismuskritik“, „Marginalisierung des Menschlichen im entfesselten Freihandel“, flüstert’s dem weggeschlummerten Zuhörer entgegen. Verständiges Lächeln. Lange wird andächtig gelauscht, dann darf man – wegen Beteiligungsdemokratie – Trost suchen: Aber mal konkret, bittet Jeismann, was ist denn mit der Restmacht, welche die Großkonzerne den staatlichen Institutionen lassen? Chomsky: „Alle Menschen sollten Anarchisten sein.“ Solidaritätsjubel. „Da hat er ja wieder voll was rausgehauen.“ Echt links halt, dieser Chomsky.

JENS FISCHER