„Ich bin Asiens Edmund Stoiber“

Seit gestern ist Bremen der Nabel der Welt: Im Parlament spielen Schüler Regierungschefs, handeln mit- und gegeneinander und haben nur ein Ziel: Interessen durchsetzen, Welt erhalten. „Pol&iS“ soll echte Politik simulieren – und Lerneffekte schaffen

Bremen taz ■ „Ich setz‘ mich doch nicht mit Russland an einen Tisch“, trompetet Nordamerika. Nordamerika ist 17 und trägt eine Zahnspange. Es müsste vielleicht demnächst mal mit Russland über seine Atombomben verhandeln. Aber Russland will auch nicht. „Einigen wir uns gar nicht“, kräht Russland übern Tisch. „Genau“, erklärt Nordamerika. „Die Russen kriegen dafür aber Geld“, wirft der Jugendoffizier vom Rande ein. „Einigen wir uns doch“, sagt Russland sofort.

In diesen Tagen ist die Bremische Bürgerschaft der Nabel der Welt. Hier mutieren 34 Schüler des Wirtschaftsgymnasiums Grenzstraße zu Premier- und Wirtschaftsministern, zu Oppositionsführern, zu Weltbank und Weltpresse in elf Regionen dieser Erde. Ihre Welt heißt „Polis“ und so heißt auch das Spiel: „Politik und internationale Sicherheit“, kurz „Pol&iS“. Die Kids bewältigen Naturkatastrophen, bekämpfen Armut, versuchen, den Frieden zu erhalten. Und merken dabei, dass sich unterschiedliche Interessen manchmal gut ergänzen oder auch nicht, dass man gemeinsam stärker ist und alles seinen Preis hat. Es gibt keine Gewinner und keine Verlierer, aber eine Welt, die es zu erhalten gilt: Polis. „Am Ende sollen Sie nachvollziehen, dass ein Bush, ein Putin und wir Europäer verdammt hart arbeiten müssen, um die Welt im Lot zu halten“, ruft Oberst Hubertus Greiner den jugendlichen Staatsmännern und -frauen zu. Der Mann vom Bund hat gestern die Weltenrunde im Bremer Parlament eröffnet. Seine Jugendoffiziere leiten die global player an.

„Wir sollen irgendwas kritisieren“, sagt die Oppositionsführerin von Nordamerika und klingt ratlos. „Genau“, sagt der Jugendoffizier hinter ihr, „deshalb habt ihr ja die Umweltpolitik, da gibt‘s immer was zu kritisieren.“ Die Opposition macht immer in Umwelt – schon darin zeigt sich, dass das Polis-Weltbild nicht das aktuellste ist. So gibt es keine EU-Osterweiterung. Die will nur die Opposition. Entworfen hat das Spiel der Politologe Wolfgang Leidhold in den 80er Jahren. Die Jugendoffiziere der Bundeswehr touren mit Polis die Republik rauf und runter, spielen mit Schülern, Studenten, Azubis. Eine Aktualisierung des Weltbilds sei in Arbeit, erklärt der Bremer Spielleiter Lutz Birke, aber fürs Politikverstehen geht es auch ohne den 11.9. Der Anfang sieht in etwa so aus: „Wir tun uns zusammen und übernehmen die Weltherrschaft“, erklärt Dustin, 17, „ich bin Asiens Edmund Stoiber“. „Genau“, sagt Russlands Oberoppositionelle. „Und was mache ich, wenn ich meinen Chef ganz gut finde?“, fragt Nordamerika. „Ihr solltet nicht zu politisch denken“, rät ein Jugendoffizier, „nicht nur nach dem Motto: Egal wie –ich will an die Macht.“

Die Macht wird indes ein paar Meter weiter verteilt. Ein Brett bildet die in Sechsecke gerasterte Welt ab. „Wo machen wir unsere Panzer hin“, fragt Arabiens König seine Staatsministerin. „Muss man eigentlich alles aufstellen?“, fragt Russlands Premierminister, die Hände voller Papierschnipsel, darauf Symbole von Raketen, U-Booten, Panzern. „Die Russen stellen immer alles auf“, erwidert ein Jugendoffizier, „wo willst du denn sonst damit hin?“ Er könne abrüsten, rät ihm Lutz Birke, das müsse er sogar. Später fragt Russlands Premier nach „der Mappe mit diesen Sar-1-Verträgen“. „Start 1 und 2“, verbessert Birke und reicht eine Mappe, die Russen und Nordamerikanern erklärt, wieviel Raketen wer wohin packen darf.

Weltpolitik – ein Sandkastenspiel? Gleicht die Begeisterung der Kids über ihre Waffenarsenale der Freude realer Staatschefs an ihrem realen Kriegspotenzial? Wie nah ist die Wirklichkeit, wenn ein russischer Regierungsmann kichert: „Verträge? Kann man doch brechen!“ Und funktioniert Welthandel wirklich so wie am Tisch nebenan? „Ich hab zuviel Müll“, sagt Nordamerika. „Prima“, antwortet Afrika, „kannst du uns geben.“

Die Regierungschefs, auch das erinnert ans echte Leben, sind fast alle Jungs, die Oppositionsführer fast alle Mädchen. „Die wollen halt die Macht haben“, sagt Jugendoffizier Birke und deutet auf die Jungs-Chefs. Die Mädchen blieben oft lieber im Hintergrund – und damit in der Opposition. Zwar gibt es bei „Polis“ auch Wahlen, und Birke sähe die Alphatiere gerne erstmal in der Opposition – aber warum sollte Bremen anders funktionieren als der Rest der Republik?

Oft bringen die Offiziere noch ein bisschen mehr Schwung in die jugendlichen Staatsrunden. Lassen Tanker sinken, Krankheiten ausbrechen oder Atomkraftwerke bersten. Oder das Wahrzeichen Afrikas, den Elefanten „Weißer Rüssel“, schwer erkranken. Da passiert es schonmal, erzählt Birke, dass Afrika das Tier sterben lässt und dann verspeist. Pragmatisch zwar, aber der Rest-Welt wenig vermittelbar – die Folge: Dank Nordamerika wird „Weißer Rüssel“ geklont und erneut lebendig. Und die Weltmoral wieder ins Lot gebracht.

Susanne Gieffers