wir lassen lesen
: Herbert, der Reportergott

Die Biografie Herbert Zimmermanns: Zeitgeschichtliche Spezialitäten im Leben der Wunderstimme von Bern

Die Dinge des Lebens hängen manchmal enger zusammen, als man glauben mag. Mit jedem Ortsgespräch über die Deutsche Telekom unterstützt man den FC Bayern, der für T-Com werbend kickt. Und wer mal eben seine Webwelt auf DSL umstellen lässt, zahlt dafür freche 99 Euro 95 und hat dem Bösen damit fast schon wieder einen neuen Meistertitel gekauft.

Umgekehrt geht es allerdings auch. Mit jedem neu abgespielten „Aus“-Schrei des legendären 1954er WM-Reporters Herbert Zimmermann, sagen wir es sehr kühn, schreitet die Rettung der Welt voran, kommen Atomausstieg und Pazifismus homöopathisch näher. Das liegt an Hans-Christian Ströbele, dem aufrechten Berliner Grünen-Politiker. Der ist nämlich Rechteinhaber der Stimme von Bern. Zimmermann war sein Onkel. Ströbele hat als Nachlassverwalter das „Aus“ geerbt und dazu Toni, den Fußballgott.

Wir lesen das in Herbert Zimmermanns Biografie. Es ist ein herausragendes Fleiß-Werk in der Flut der Jubiläumsbücher zum 4. Juli 1954, die mal das Doping der Berner Heldenversammlung nachweisen oder durch das 3:2 die verspätete Gründung der Republik begründen wollen (wobei zu fragen wäre, ob Deutschland quasi unrechtmäßig existiert, falls doch noch ein Nachweis von chemischer Leistungssteigerung gelingt).

„Jahrzehntelang hat niemand danach gefragt“, berichtet Ströbele und meint damit Verwendungswünsche der Onkelstimme und auch Erkundigungen nach seiner Rolle. Schon im Jahr 2002, vor dem Bern-Hype, sammelte Ströbele eine vierstellige Summe zusammen. Die Tantiemen verwendet der grüne Anwalt für gute Zwecke; „was immer so anliegt“ – mal für einen Kindergarten oder ein anthroposophisches Projekt, manchmal auch für spezifisch grüne Anliegen und seinen Bundestagswahlkampf. Der grüne Rasen sorgt also für eine grünere Welt. Ein bisschen indes nur, denn ein guter Geschäftsmann ist Ströbele nicht. Sönke Wortmanns Film bekam die Rechte für weniger als 10.000 Euro. Ströbele hat Bierreklame mit Onkels Stimme abgelehnt und auch einen Hersteller von Kuckucksuhren, aus der Zimmermann gerufen hätte.

Der Sportjournalist und Biograf Erik Eggers hat mit seltener Akribie in Zimmermanns Lebenslauf gewühlt, viele Stunden lang in Tonarchiven gelauscht, Zeitzeugen zu Dutzenden befragt und offenbar halbe Bibliotheken durchforstet. Der Mythenmann, 1917 in Alsdorf bei Aachen in gutbürgerlichem Hause geboren, erscheint als schillernde, auch zwiespältige Gestalt. Bohemien war er, Tierfreund und Karrierist, Exzentriker und rheinisches Cleverle, Reservistenkamerad und deutscher Sonnyboy, der mit einem gescheiterten Flirtversuch mit Zarah Leander genauso prahlt („Edelwild, doch nicht Weidmanns Glück“) wie mit seinem erfolgreicheren Schürzenjäger-Auftritt bei einer ostpreußischen Gräfin zu seinen Wehrmachtzeiten.

Beim NWDR in Hamburg verliest er 1945 zunächst Wasserstände. Seine Karriere wird gepuscht von seiner älteren Freundin Auguste, die gute Kontakte ins Funkhaus hat. 1948, nach ersten Olympia-Einsätzen, gilt Zimmermann schon als Star am Mikrophon. Hörzu nennt ihn „einen saftigen Jungen“. 1950 berichtet er vom ersten Nachkriegs-Länderspiel. Auffallend ist: Schon damals gab es für Fußballreporter, neben aller Begeisterung, auch ätzende und höhnische Kritik. 1952 initiierte Zimmermann als NDR-Hörfunkchef die erste Fußballkonferenzschaltung.

Eggers ordnet das riesige Personenpuzzle vorsichtig ein. Zum Beispiel wie selbstverständlich und nahtlos viele Reporterkarrieren aus Reichszeiten weiterliefen, bei Leuten, die für Zimmermann „meine Lehrmeister“ und von denen er protegiert wurde. Der hysterische wie virtuose Reporter war Kriegsfreiwilliger gewesen, später Panzerkommandant und bald Ritterkreuzträger, weil er neun Jahre vor Bern nahe Berlin allein ein halbes Dutzend russische Panzer aus-aus-aus-ausgeschaltet hat. Diese seine blutrünstigen Heldentaten hat er nach 1945 nachreportiert und auf Schallplatte aufgenommen. Allerdings, beruhigt Neffe Ströbele, existierten diese Tondokumente nicht mehr.

Ströbele hat als Bub mit dem Reporter-Onkel Fußballspiele besucht und rückt gemeinsame putzige Fotos aus Kindertagen heraus, etwa wie die beiden gemeinsam durch den Wald tollen. Ob die ostpreußische Affären-Marion Gräfin Dönhoff hieß und damit ein weiterer überraschender gesellschaftlicher Querpass gelänge, dieses Geheimnis hat Zimmermann mit in sein Grab genommen. Er starb 1966, kurz nachdem er vom Aus durch das Wembley-Tor berichten musste, bei einem Autounfall. Nähere Umstände sind bis heute ungeklärt. BERND MÜLLENDER

Erik Eggers: „Die Stimme von Bern. Das Leben von Herbert Zimmermann“. Wißner-Verlag 2004, 284 Seiten, 8,90 €