Nigeria kommt nicht zur Ruhe

Ethnische Gewalt dauert trotz Notstand im Bundesstaat Plateau an. Kritik von Demokraten

VON DOMINIC JOHNSON

Die ethnisch-religiöse Gewalt in Nigeria nimmt trotz der jüngsten harten Maßnahmen der Zentralregierung kein Ende. Zeitungen meldeten gestern erneut 30 Tote im zentralnigerianischen Bundesstaat Plateau, wo bereits Anfang Mai bei wechselseitigen Pogromen christlicher und muslimischer Milizen rund 1.000 Menschen getötet worden waren. 630 davon starben bei Massakern durch christliche Milizen im Dorf Yelwa am 2. Mai, die zu Racheakten von Muslimen an Christen im Norden Nigerias führten. Um ein Ausufern der Gewalt zu stoppen, hatte Staatspräsident Olusegun Obasanjo am Dienstag über Plateau den Ausnahmezustand verhängt. Er charakterisierte die Vorgänge dort als „fast gegenseitigen Völkermord“.

Weitere Gewalttaten wurden in dieser Woche aus dem Bundesstaat Benue südlich von Plateau gemeldet, der sich bis an der Grenze zu Kamerun erstreckt. „Viele Menschen sind getötet und hunderte von Häusern angezündet worden“, sagte Benues Polizeisprecher Bode Fakeye und fügte hinzu, seine Einheiten seien „von der Guerilla der Milizen überwältigt“ worden. Lokale Medien sprechen von 50 Toten. Im nördlichen Bundesstaat Kano sind nach muslimischen Ausschreitungen gegen Christen vergangene Woche mit dutzenden Toten 30.000 Menschen auf der Flucht. 27.000 Menschen sind aus Plateau geflohen.

Der neue Militärverwalter von Plateau, Generalmajor a.D. Chris Alli, ist eine Größe der Zeit der 16-jährigen Militärherrschaft, der Obasanjo 1999 mit seiner Wahl zum Präsidenten eigentlich ein Ende setzte. Alli regierte den Bundesstaat bereits unter Diktator Ibrahim Babangida (1985–93) und war zu Beginn der Diktatur von Sani Abacha (1993–98) Nigerias Generalstabschef. Zahlreiche Bürgerrechtler und Demokraten vor allem in Nigerias größter Stadt Lagos sind nun über ihren Präsidenten entsetzt. Sie nennen den Notstand verfassungswidrig und fordern Obasanjos Rücktritt. Der radikale Menschenrechtsanwalt Gani Fawehinmi meinte: „Obasanjos Ziel ist, Nigeria in einen Einparteienstaat unter seiner autoritären, totalitären Einmann-Tyrannenherrschaft zu machen.“

Christliche Gruppen, enttäuscht vom Baptisten Obasanjo, sprechen von einem staatlich sanktionierten „Dschihad“ in Plateau und kritisieren, dass nicht auch im muslimischen Norden durchgegriffen wird. Im Kabinett erhielt Obasanjo hingegen Standing Ovations, und beide Kammern des Parlaments billigten am Mittwoch den Ausnahmezustand in Plateau mit überwältigender Mehrheit.

Vor allem frühere Anhänger der Militärdiktatur sind begeistert: „Zum ersten Mal gratuliere ich Obasanjo aus vollem Herzen“, sagte Wada Nas, einst Chefpropagandist Sani Abachas. Neutrale Beobachter erinnern daran, dass noch nie seit 1962 eine gewählte Regierung in Nigeria einen Ausnahmezustand erklärt hat. Damals, zwei Jahre nach der Unabhängigkeit, führte der Notstand in der damaligen „Western Region“ um Lagos geradewegs in die Militärputsche von 1966 und den Biafra-Sezessionskrieg.

Der damalige Biafra-Führer Chukwuemeka Ojukwu, dessen Sezession damals vom jungen Armeegeneral Obasanjo niedergeschlagen wurde, spricht auch jetzt ahnungsvoll vom „Anfang vom Ende“ der nigerianischen Demokratie.