Alte Meister, junge Wilde: Das fünfte Japanische Filmfest Hamburg eröffnet im Metropolis mit Takeshi Kitanos „Zatoichi“
: Von der wundersamen Wiedergeburt des Independent-Kinos in den Schneidekellern Osakas

Mit seiner diesjährigen fünften Ausgabe wagt das vom Verein Nihon Media veranstaltete Japanische Filmfestival einen entschlossenen Schritt nach vorn. Erstmals während des traditionellen Kirschblütenfestes stattfindend, werden neben dem 3001 diesmal auch das Metropolis und das Lichtmess bespielt. Das in diesem Zuge auf rund 30 Filme ausgeweitete Programm ermöglicht einen umfassenden Überblick über das japanische Gegenwartskino plus einer Kinji Fukasaku gewidmeten Retrospektive, die Filme wie Battles without Honor and Humanity enthält, mit denen der letztes Jahr verstorbene Regisseur in den 70er Jahren das Yakuza-Genre von Grund auf erneuerte.

Der prominenteste Film des Festivals ist natürlich Zatoichi (Foto), Takeshi Kitanos erster Ausflug ins Samurai-Genre, der ihm außer mehreren Auszeichnungen auch seinen bisher größten Kassenerfolg in Japan bescherte. Kitano greift darin eine in Japan äußerst populäre Figur auf, die zwischen 1962 und 1989 in über 20 Filmen und einer Fernsehserie auftrat: Zatoichi, der blinde Masseur, der sich, kaum dass er sein Schwert aus seinem Gehstock gezogen hat, als unbesiegbarer Samurai erweist. Kitano selbst spielt diesen integren Beschützer armer Dorfbewohner mit blondiertem Haar, nie eindeutig zu deutendem Lächeln und dem von einem Unfall verursachten, charakteristischen Zucken in seinem Gesicht. Mit seiner verspielten Ironie steht er – das bekennt er auch selbst – Tarantinos Kill Bill-Filmen deutlich näher als dem heiligen Ernst von Edward Zwicks The Last Samurai oder Yoji Yamadas Twilight Samurai. Stärker als bisher kommt hier der Komiker „Beat“ Takeshi in ihm durch, was eine gewisse Kälte mitbringt, aber nie zu Lasten der ausgefeilten Schwertkampfchoreographie oder der absoluten Präzision in Kameraarbeit und Montage geht. Selbst der Auftritt der Stepptanzgruppe „The Stripes“ am Ende des Films ist dramaturgisch genau vorbereitet.

Ebenfalls als Vorpremieren werden die im „Duel-Project“ gegeneinander antretenden gleichfalls fulminant inszenierten 2LDK von Yukihiko Tsetsumi und Aragami von Ryuhei Kitamura gezeigt. Vertreten ist selbstverständlich auch der Schwindel erregend produktive Takashi Miike mit gleich zwei Fortsetzungen zu seinem schon nicht wenig apokalyptischen Dead or Alive.

Erfreulich, dass in Japan neben diesem, immer neue Bestmarken anvisierenden Hochgeschwindigkeitskino auch die traditionelle elegische Erzählweise weiterhin gepflegt wird. Schon die Umrisse des Plots von Takashi Koizumis Letter from the Mountain – ein erfolgloser Schriftsteller und seine Frau brechen zu einer Reise in das Gebirgsdorf ihrer Jugend auf – lassen fast unwillkürlich an Ozu-Filme denken.

Sehr präsent sind diese beiden Traditionen des japanischen Kinos auch in den Werken des diesjährigen Schwerpunktes „Filmstadt Osaka“ – Hamburgs Partnerstadt – das sich in den letzten Jahren zum Zentrum eines neuen japanischen Independent-Kinos entwickelt hat. Während Makoto Asakawas als Weltpremiere zu sehender Living without Water seine Geschichte von der Freundschaft zweier Mädchen, denen es gemeinsam gelingt, ihre jeweiligen traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten, fast ohne Worte in ruhigen Bildern erzählt, ist Ryuichi Hondas Tokyo Shameless Paradise um einen Auftragskiller, der es einfach nicht schafft, die zerstückelte Leiche seines letzten Opfers fachgerecht zu entsorgen, ganz dem Trash-Kino mitsamt geschmacklosen Gags und Splatter-Einlagen verpflichtet.

Beinahe so unglaublich wie die Plotwendungen des letztgenannten Films liest sich die Entstehungsgeschichte dieser erstaunlichen neuen Filmbewegung: Da gab es 1997 den jungen Filmemacher Kumakiri Kazuyoshi, dessen kontroversen Abschlussfilm Kichiku an der Osaka University of Arts kein Kino in Tokio zeigen wollte, bis er auf der Berlinale im Jahr darauf gar für einen handfesten Skandal sorgte. Nur der extrem filmbesessene Kunihiko Tomioka, der eigentlich selbst Filme machen wollte, aber stattdessen 1995 in Umeda, dem geschäftigen Herzen von Osaka, im Keller eines Filmesammlers ein kleines Kino namens Planet Studyo +1 gründete, war sofort bereit, das brisante Werk zu zeigen. Damit war der Grundstein gelegt für eine kreative Kooperation, die schon bald Früchte trug – nicht zuletzt, weil es in demselben Keller einen 16mm-Schneidetisch gab, den Studenten nun kostenlos nutzen konnten.

Die meisten in diesem Umfeld entstehenden Werke sind so genannte „Puuten“-Filme um Slacker und Nichtstuer, die wie die jungen Filmemacher selber Kenneth Angers Motto „I‘ve always worked hard to avoid a 9 to 5 Job“ beherzigen. Vom besonderen Flair des Planet Studyo +1, das inzwischen auch als Produktionsgesellschaft fungiert, kann man sich in einem Kurz- und Dokumentarfilmprogramm sowie anhand von Bae Tae Sus Science-Fiction-Film Gong und Oka Daichis Roadmovie Trojanische Begierden – beides preisgekrönte Abschlussfilme der Osaka University of Arts – überzeugen. Darüber hinaus gibt es am Sonntag an der hiesigen Uni ein öffentliches Symposium zum Osaka-Schwerpunkt, zu dem unter anderem Professor Yoneo Ota von besagter Hochschule und Kunihiko Tomioka vom Planet Studyo +1 erwartet werden. Womit dem dauerhaften filmkulturellen Austausch zwischen den Hafenstädten Hamburg und Osaka eigentlich nichts mehr im Wege steht. Eckhard Haschen

„Zatoichi“: Mittwoch, 19.5., 21.15 Uhr, Metropolis; Programm unter www.nihonmedia.de, bis 28.5.