Alte Tage, neue Höhen

Mit der Energie vieler neuer Songs: Die einst stilprägenden Alternative-Rocker „R.E.M.“ und Hamburgs Pop-Feingeister „Blumfeld“ im Volkspark

von VOLKER PESCHEL

Mit Joghurt-Bechern soll er um sich geworfen haben in der First Class der British Airways – nach angeblich 15 Gläsern Wein. Peter Buck, 46, Gitarrist der Rockband R.E.M., fand mehr Aufmerksamkeit als ihm lieb war, als er, ganz im Stile des Films Die Wutprobe, Ärger im Flieger verursachte. Vor Gericht wurde er jetzt freigesprochen, und die Fluggesellschaft verkündete, sie begrüße ihn gerne wieder als zahlungskräftigen Passagier.

So klärte sich neben einem Boulevard-Schmunzler auch die Frage, was eigentlich die Mittvierziger von R.E.M. gerade so treiben. Jene Herren aus Athens, Georgia, die mit ihrem eigentümlichen Zwitter aus punkigem Freigeist und strikter Arbeits-Ethik, aus musikalischen Grassroots-Wurzeln und wegweisenden Alternative-Rock-Ideen in den 80ern zum Vorbild einer ganzen Studenten-Generation gerieten. Die mit dem Doppelschlag Out Of Time und Automatic For The People 1992 zu Weltstars wurden. Und dann nach einer gewissen Abkühlungsphase zu gehätschelten Ikonen „von damals“ – oder zur nasalen Penetranz, je nach Standpunkt.

Drei Jahre sind seit dem letzten Album Reveal vergangen. Sänger Michael Stipe, 43, spielte mit dem Projekt One Giant Leap, produzierte mit seiner Filmfirma Single Cell oder schoss Fotos. Buck tourte mit Minus 5 und engagierte sich mit für unabhängige Medien, Bassist Mike Mills, 44, wetterte lautstark gegen die Bush-Politik. Dann war da noch ein Simpsons-Auftritt der Band, eine erneute MTV Unplugged-Session, Soundtracks und ein online gesungener Kommentar zum Irak-Krieg.

Und nun, 20 Jahre nach ihrem Debüt Murmur, treten R.E.M. im großen Stil aus dem Schatten der Studios und stillen Aktivitäten: Die Welt-Tournee läuft, zwei neue Alben liegen bereit. „Wilder und lauter“ sei das neue Material, weiß Ex-Schlagzeuger Bill Berry, 44, der die Band 1997 verließ. „Die neuen Songs sind mindestens so gut wie unser bestes Material“, trommelt Gitarrist Buck stolz. „Es entfernt sich von den letzten Platten in bisher unbekanntes R.E.M.-Territorium – kind of primitive and howling!“, salbadert Michael Stipe weiter, „pretty poppy and uptempo“ seien die Songs. Aber auch „dark and complex“, wie sie Buck in der Winterstimmung nach dem 11. September sieht.

Der Nebel wird sich Anfang 2004 lichten, wenn das dreizehnte Studioalbum erscheint. Vorab gibt es eine Best-of-Kompilation mit zwei neuen Songs als Aperitif. Lieder, die an die 1987er Document-Zeiten erinnern, sagen Besucher der ersten Europa-Auftritte. Aus gut 75 Songs soll das R.E.M.-Repertoire für die derzeitige Tour bestehen. Mit 80er-Erfolgen wie „So. Central Rain“, 90er-Megahits wie „Losing My Religion“ und Neuerem wie „The Great Beyond“. Auf der Homepage (www.remhq.com) können Fans ihre Wunsch-Setlist abliefern und so die allabendliche Auswahl erleichtern.

In durchaus ähnlichen Gewässern, wenn auch vorerst im kleineren Rahmen, sind Blumfeld unterwegs – man denke an ein durchgeistigt schauendes Publikum, die Bedeutung der Band nach der umjubelten Ich-Maschine von 1992, aber auch die musikalische Beruhigung und die mancherorts abgekühlte Begeisterung angesichts von Old Nobody sieben Jahre später. Blumfeld sind, personell leicht verändert, ebenfalls mit neuem Liedgut unterwegs, das Album Jenseits von Jedem wird Anfang September erscheinen. Auch deshalb also vielleicht einer der spannendsten und substanzreichsten Doppelpacks dieses Sommer. Auch oder gerade, wenn beide Bands längst nicht länger eine geradezu jüngergleiche Gemeinde an Text-Verstehern hinter sich scharen.

heute, 19 Uhr (Einlass 17 Uhr), Open-Air-Bühne am Volkspark