ausgehen und rumstehen
: Zum Glück gibt es Wodka: Wie man auch bei verschärften Minusgraden den Heimweg meistert

Mann, Mann, Mann, war das aber kalt am Wochenende. Die Kälte beeinflusste natürlich auch die Freizeitgestaltung. Ausgehen und rumstehen bei minus 15 Grad, wie soll das gehen?

Grundsätzlich ist es immer wieder schön, aus der Kälte in eine warme, volle Bar zu kommen. Aber kann es sein, dass es überall immer zugiger wird? Ist es schon die Krise, spart man an der Heizung? „Ist das noch eine Bar oder schon Après-Ski?“, fragt sich der frierende Gast da.

In Kreuzberg fällt sowieso eine Après-Skiisierung auf, die alpenländische Gastronomie ist auf dem Vormarsch. In der Mariannenstraße tauchte nach Weihnachten plötzlich ein schweizerisches Rösti-Lokal auf, und in der Kreuzberger Pücklerstraße steht jetzt seit dem Sommer schon eine Skihütte aus Holzschindeln, draußen stehen rustikale Holzbänke mit herausgeschnitzten Herzen. Die Bar ist einem Sessellift nachempfunden, die Bedienungen tragen Lederhosen und Dirndl, volkstümliche Musik erklingt. Es ist furchtbar.

Warum? Warum hier und nicht im Ku’dorf, falls es das noch gibt, oder am Potsdamer Platz?, fragt sich die hilflose Anwohnerin. „No kangaroo“ heißt das österreichisches Erlebnisrestaurant, und Hassrecherchen bei Google haben ergeben, dass hier eine ebenso gelungene wie authentische Mischung aus Wiener Kaffeehaus, Heurigen und Almhütte entstanden sei. Zum Glück greift das Konzept nicht so ganz, Après-Ski-Gaudi am Samstagabend mit Wolfgang Petry und DJ Ötzi gab es eine Weile nicht mehr, dafür macht der Schandfleck jetzt immer früher zu.

Es ist ja gar nicht grundsätzlich schlimm, wenn Eventgastronomie in den öffentlichen Raum eingreift. In der Oranienstraße breitet sich seit ein paar Jahren schon ein im Volksmund „Singapur-Hell“ genanntes Asiafood- Imperium mit Dutzenden bunter Fahnen, Rattanmöbeln, Palmen und Gipsgöttinnen immer weiter aus. Aber während hier das exotistische Auge die farbenfrohen Aufbauten als durchaus angenehm empfindet, ist es bei der Skihütte vor der Haustür schwierig, gelassen zu bleiben. Wahrscheinlich, weil die alpenländische Eventgastronomie mit Hüttengaudi und Après-Ski-Drohungen aggressiver auftritt und weil der zivilisierte Mensch nun mal gegenüber seinem eigenen Kulturkreis kritischer eingestellt ist als gegenüber dem interessanten Fremden.

Aber zurück zur Kälte. Wenn man es also rausgeschafft hat, musste man auch irgendwann nachts bei irrwitzigen Temperaturen den Heimweg antreten. Zuerst ging’s ja noch. „Die Kälte ist auch nicht mehr das, was sie einmal war“, dachte man schon überheblich bei den ersten Schritten im Freien, aber dann, nach so viereinhalb Minuten, wurde es akut. Eine erstaunliche Kälte kroch in den Körper und machte die Bedeutung der Redewendung „sich den Arsch abfrieren“ sinnlich erfahrbar.

Gut , wenn man informiert ist. In Russland ist ja Wodka ein Allheilmittel gegen Kälte. Im Freien tätige Wachsoldaten erhalten seit Jahrhunderten per Gesetz 100 Gramm am Tag, und sogar den fröstelnden Elefanten im Moskauer Zoo mischt man drei Liter pro Wassereimer bei. Wenn es also auf dem Heimweg zu kalt ist, hilft nur: rein in die nächste Bar, ein Wodka bestellt, runter damit und weiter! Auf diese Weise kommt man langsam, aber sicher vorwärts: Vom „Möbel Olfe“ zum „Luzia“ zum „Bierhimmel“ in den „Elefanten“ über den „Club 39“ zum „vor Wien“ …

Diese Vorgehensweise ist natürlich auch in allen anderen Bezirken möglich, etwa vom „Gorki“ zum „Kaffee Burger“ zum „Luxa-Imbiss“, zum „White Trash“ zur „8mm-Bar“.

Wichtig ist es, dem Impuls einzukehren ohne Ansehen der Örtlichkeit sofort nachzugeben. Das führt zu spannenden Begegnungen, und ab dem dritten oder vierten Halt wirkt der nächste Schnaps wie ein warmer Schlag auf den Kopf. Man friert zwar immer noch, aber es ist total lustig.

CHRISTIANE RÖSINGER