Wieder beleben

Am 19. Juli 1950 wurde in Frankfurt am Main der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Der Versuch, ein deutsches Judentum wieder aufleben zu lassen, stieß in der jüdischen Welt jedoch vielfach auf Ablehnung. Die Jewish Agency schloss sämtliche ihrer deutschen Büros und forderte die in Deutschland lebenden Juden auf, „den blutgetränkten deutschen Boden“ zu verlassen.

1960 amtierten in Deutschland sieben Rabbiner. Nach und nach kamen Remigranten aus den verschiedensten Gründen aus dem Exil zurück. Doch mit der Niederlage der Nazis war der Antisemitismus nicht verschwunden. Jüdische Friedhöfe wurden geschändet, Hakenkreuze und SS-Runen auf jüdische Einrichtungen geschmiert und weiterhin wurden Juden in Deutschland bedroht. So beschreibt es Ulrich Dillmann in dem Buch „Jüdisches Leben nach 1945“ (Rotbuch Verlag, Hamburg 2001, 95 Seiten, 8,60 Euro).

Gegen die Bilder der Vergangenheit setzt der Band „Hier und Jetzt“ (Emons Verlag, Köln 1999, 128 Seiten, 19,50 Euro) Szenen von gelebter Jüdischkeit im heutigen Köln. Nicht Erinnerungen und zerstörte Synagogen dominieren in diesem Buch, sondern Ideen, Menschen und Geschichten, die die aktuelle jüdische Kultur bereichern. Achtzig Bilder des Fotojournalisten Herbert Sachs begleiten die Texte über Künstler, Visionen und Gemeindemitglieder mit Aufnahmen von Chanukka, Laubhüttenfest und anderen Momenten des Lebens in der Synagoge an der Roonstraße.

Derzeit leben in der Bundesrepublik zirka zweihunderttausend Juden. Davon sind hundertfünfundsiebzigtausend jüdische Kontingentflüchtlinge. Im Januar 1991 einigten sich Bund und Länder, jährlich maximal zwanzigtausend Menschen aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR aufzunehmen, die nach den sowjetischen Personalstandsangaben jüdischer Nationalität sind oder von mindestens einem jüdischen Elternteil abstammen. Die Kontingentflüchtlinge werden nach Länderquoten verteilt, wie es heißt „unter Berücksichtigung ihrer Aufnahmewünsche“.

Nur vierzig Prozent der Zuwanderer aus der Ukraine, Russland, Moldawien oder dem Baltikum sind Mitglieder in den jüdischen Gemeinden. Nach der Halacha, den jüdischen Religionsgesetzen, gelten viele der Immigranten nicht als Juden, da sie keine jüdische Mutter haben. Allerdings definierte das sowjetische Staatsrecht jene als Juden, die einen jüdischen Vater hatten. Das vereinfacht das Problem nicht gerade.

Viele jüdische Flüchtlinge stehen vor der Frage, was Jüdischkeit für sie bedeutet. Laut einer Studie des Landeszentrums für Zuwanderung in NRW kommen die meisten Zuwanderer ohne jüdische Identität nach Deutschland. Jüdische Kultur und Brauchtum sagen ihnen nur wenig. Die Gemeinden stehen vor Schwierigkeiten: Versteht man sich als religiöse Institution und nimmt nur Juden nach halachischem Gesetz auf, oder will man eher eine soziale Institution sein und damit offen für alle, die sich selbst als Juden bestimmen?

Die „russischen Juden“ in Berlin lösen dieses Problem, indem sie in den weitläufigen Hinterhöfen der Stadt ständig neue Vereine gründen wie „Jüdische Erfinder“, „Keramikzirkel“ oder die „Gesellschaft der Wissenschaftler“. Über die Erfahrungen der Flüchtlinge berichtet „Ein neues Judentum in Deutschland? Fremd- und Eigenbilder der russisch-jüdischen Einwanderer“ (hrsg. von Julius Schoeps u. a., Verlag für Berlin Brandenburg, 325 Seiten, 25 Euro). JUL