bücher aus den charts
: Das System

Man muss kein großer Prophet sein, um zwei oder drei Chartneueinsteiger für die nächsten beiden Wochen sicher vorhersagen zu können: „Der Hund von Balard“ ist dabei, der Erstlingsroman des französischen Lokaljournalisten und Schriftstellers Ludovic Roubaudi. Oder P. F. Thoméses bewegendes Büchlein „Schattenkind“, mit dem der niederländische Autor versucht hat, über den Tod seiner nur wenigen Wochen alten Tochter hinwegzukommen. Der Charteinstieg ist fast so sicher wie das Amen in der Kirche – aber nicht, weil der Verlag von Roubaudi ein ganz neuer ist, der Verlag Schirmer & Graf, ein eigenständiges Sublabel von Schirmer & Mosel. Auch nicht, weil das zurzeit stattfindende flämisch-niederländisches Literaturfestival einen Autor wie Thomése dermaßen zu pushen vermag (nein, nicht mal die diesem Festival anscheinend unerschöpflich zur Verfügung stehenden PR-Mittel nützen da was). Sondern, klar, keine Chartskolumne ohne sie, weil Elke Heidenreich diese Woche wieder mit „Lesen!“ auf Sendung war.

Schon vorher rüsten sich die Verlage nach der Bekanntgabe der ausgewählten Titel, um genug Exemplare drucken zu lassen und ausliefern zu können, und schon ein, zwei Tage nach der Sendung liegen die Bücher dann in den extra Heidenreich-Auslagen, die es inzwischen überall in den Buchläden gibt. Kurz darauf schlägt sich der Verkauf in den Bestsellerlisten nieder – diese werden in der Regel durch die elektronische Abfrage in den jedes verkaufte Buch registrierenden Warenwirtschaftssystemen ermittelt. So lässt der Spiegel seine Liste seit 1971 durch das Fachmagazin buchreport ermitteln, das jeweils nach Kassenschluss am Wochenende rund 350 Buchhändler befragt. Ausgewählt wurden diese nach Umsätzen und Standorten, sodass sie annähernd die Gesamtheit des Buchhandels in Deutschland repräsentieren. Allerdings muss es sich bei den meistverkauften Büchern der Spiegel-Liste um „eigenschöpferische Leistungen“ handeln – Longseller wie der Duden oder Gesetzbücher, wie Kochbücher oder Ratgeber bleiben deswegen auch bei den Sachbuchlisten außen vor.

Noch interessanter ist, wie viel Exemplare von einem Bestseller wirklich verkauft werden. Darüber schweigen sich die Listen leider aus. Immerhin helfen die von den Verlagen angegebenen Druckauflagen weiter, die aber auch nur Näherungswerte geben, da sie mitunter stark von den Verkaufsauflagen differieren (die echten Flops, mit denen sich Verlage richtig verkalkuliert haben, liegen dann Jahre später noch eingeschweißt, aber für nur einen Euro in den Grabbelkisten, etwa Hellmuth Karaseks „Das Magazin“).

Frank Schirrmacher hat von seinem „Methusalem-Komplex“ inzwischen 200.000 Exemplare gedruckt bekommen; sein einige Wochen älteres und diese Woche von Donna Leons neuem Brunetti-Roman von Platz eins abgelöstes Pendant in der Belletristik-Liste des Spiegels, Dan Browns „Sakrileg“, 320.000. In den mittleren Positionen, um Rang 10, ist es bei neuen, wenige Wochen alten Büchern bedeutend weniger: Paul Austers „Die Nacht des Orakels“ hat eine Druckauflage von 50.000, Viola Roggenkamps „Familienleben“ liegt bei 45.000, Martina Rellins Ostfrauenbuch bei 30.000.

Dass aber eine Besprechung bei Elke Heidenreich noch lange keinen Longseller macht und schon gar keinen Coelho, kann man daran sehen, dass viele der von ihr vorgestellten Bücher so schnell, wie sie kommen, wieder aus den Bestsellerlisten verschwinden, sagen wir Leland Bardwell, sagen wir Heiner Link. Da braucht es Ausdauer, echte Bestseller-Qualität, manchmal ein Autorenprofil (Auster!), Übereinstimmung des Publikums mit Heidenreich nach der Lektüre und anschließende Mund-zu-Mund-Propaganda. Und manchmal auch die Printmedien. So hält sich nach Aussage der Verantwortlichen des Arche Verlags Viola Roggenkamps einst mit einer 7.000er-Auflage veröffentlichter Roman „Familienleben“ nach der Entdeckung durch Heidenreich vor allem deswegen in den Charts, weil er nach und nach in vielen Zeitungen und Magazinen besprochen wurde. GERRIT BARTELS