Super arm und schrecklich reich

Die Auswirkungen der globalen Elendsbekämpfung sind inzwischen messbar, die der Wirtschaftskrise auch. Doch echte Effekte lassen auf sich warten

Die höchste Dichte an Millionären findet man nicht in den USA, sondernin Europa

Wenn sonst bei den Mammutgipfeln der UNO nichts rauskommt, einigt man sich eben auf „Ziele“. Ziel kann zum Beispiel die Halbierung der Zahl der Armen sein (New York 2000). Oder das Ziel, wenn es schon zwanzig Jahre alt ist, wird einfach bestätigt – wie in Johannesburg 2002 das Versprechen, die Versorgung mit Trinkwasser zu verdoppeln. Erreicht werden diese Ziele nie.

Immerhin aber machen sie die Fortschritte in der Armutsbekämpfung messbar. Genau das wollen die 28 Verbände, Gewerkschaften und kirchlichen Dienste, die sich in Deutschland zum Bündnis „Social Watch“ zusammengeschlossen haben. In ihrem Bericht, der gestern veröffentlicht wurde, prüfen sie die Armutsbekämpfung in jedem UN-Land. Zugrunde legen sie sechs Kernzusagen, die beim Weltsozialgipfel in Kopenhagen 1995 versprochen wurden (siehe Kasten).

Die Ergebnisse zeigen: Die Ziele von Kopenhagen werden nicht erreicht. Wenigstens aber gibt es mehr Länder, die sich den Zielen nähern, als solche, die sich davon entfernen. So verbesserte sich, weltweit gesehen, die Gesundheitsversorgung von Kindern. Auf dem Weltsozialgipfel war vereinbart worden, die Säuglingssterblichkeit gegenüber 1990 um ein Drittel zu senken. Die Sterblichkeit von Kleinkindern sollte bis 2000 auf zwei Drittel des Niveaus von 1990 – also auf höchstens 70 Todesfälle bei 1.000 Kindern – verringert werden. Dies gelang bis 2000 51 Ländern mit etwa einem Fünftel der Weltbevölkerung.

Gleichzeitig verschlechterte sich die Bildungssituation „für weit mehr als die Hälfte der Menschheit“, so die Autoren des Berichts. In Botswana etwa wurden 1990 noch 93 Prozent aller schulpflichtigen Kinder eingeschult, zehn Jahre später waren es nur noch 84 Prozent. Die Zahlen zeigen, wie sehr Krieg Entwicklung behindert: Im Kongo sank die Rate von 54 auf 33 Prozent, in Kroatien von 79 auf 72 Prozent. Für vier Fünftel der Weltbevölkerung bleiben die Bildungsziele von Kopenhagen – alle schulpflichtigen Kinder sollen zur Grundschule gehen können, 80 Prozent einen Abschluss machen – auf lange Sicht unerreichbar.

Noch weiter rückt das Ziel in die Ferne, alle Menschen ausreichend zu ernähren. Nur 16 Ländern mit gerade einmal 11 Prozent der Weltbevölkerung gelang es, ihren Kalorienbedarf pro Kopf zu decken. 48 Länder oder 43 Prozent aller Menschen sehen immerhin „gute Fortschritte“ im Bereich Ernährung. Für mehr als eine halbe Milliarde Menschen – 13 Prozent der Bevölkerung – hingegen „rückt das Recht auf Nahrung in immer weitere Ferne“, so Autor und Social Watch-Sprecher Klaus Heidel. In Äthiopien, Bangladesch, Indien, dem Jemen, Kambodscha, Mali, den Malediven und Nepal, Burundi, Afghanistan, Angola und Eritrea sind fast die Hälfte der unter Fünfjährigen unterernährt. Und 1,5 Milliarden Menschen sind heute weniger gut mit Grundnahrungsmitteln, Wohnraum und Dienstleistungen wie Wasserversorgung oder Toiletten versorgt als 1995. Am schlechtesten entwickelt sich Afrika. Für vier von fünf Afrikanern liegt nicht einmal ein einziges Ziel derzeit in Reichweite.

Für ein Fünftel aller Mütter haben sich in den letzten zehn Jahren die Bedingungen für Schwangerschaft und Geburt erheblich verschlechtert. Diese Zahl fällt deshalb so drastisch aus, weil im bevölkerungsreichen China die gynäkologische Versorgung abnimmt – auch wenn sie im weltweiten Durchschnitt immer noch gut ist. Positiv hingegen ist die Entwicklung der Lebenserwartung: Sie ist in mehr als der Hälfte der Länder gut, in einem weiteren Viertel annähernd gut. In allen Industrie- und Schwellenländern werden die Menschen heute über 70, in Japan sogar 80. Unter 50 liegt die Lebenserwartung nur in Teilen Afrikas. Besonders krass verschlechterte sich die Lage in Botswana: Hier sank der Durchschnitt von 57 auf 39 Jahre.

Ganz andere, nämlich höchst eigennützige Ziele verfolgen die Finanzberater Merrill Lynch und Cap Gemini Ernst & Young mit ihrem Reichtumsbericht. Sie spürten den Millionären dieser Welt nach, um möglichst viele lukrative Kunden für das eigene Geschäft zu sichern. Wo lohnt es sich, wo nicht?

Ihre Zielgruppe sind nicht die Armen, sondern HNWI. HNWI sollte man sein. HNWI sind in der Bänkersprache „High Net Words Individuals“, Menschen mit mehr als einer Million Dollar Geldvermögen. Von ihnen gibt es immer mehr: Um 2,1 Prozent stieg 2001 die Zahl der Millionäre weltweit, schreiben Merrill Lynch und Cap Gemini Ernst & Young. Also auf 7,3 Millionen. Das ist ein geringerer Zuwachs als in den Vorjahren. Gemeinsam besitzen alle diese Millionäre der Welt derzeit 27,2 Billionen Dollar.

Am schnellsten wächst die Zahl der Superreichen derzeit im asiatisch-pazifischen Raum: Dort lebten 2002 fast 5 Prozent mehr HNWI als im Vorjahr, das sind 1,8 Millionen Menschen. Zusammen besitzen sie fast 6 Billionen Dollar (eine Sechs mit zwölf Nullen), ganze 11 Prozent und mehr als 500 Milliarden Dollar mehr als im Vorjahr. Die Autoren führen dies auf ein „ordentliches Wirtschaftswachstum“ in Schlüsselregionen wie China, Südkorea und Australien zurück. Nicht einmal die japanische Rezession konnte diesen Trend stoppen.

In Lateinamerika hingegen schrumpfte die Zahl der Millionäre um knapp 4 Prozent. Das ist nicht erstaunlich, führt man sich vor Augen, dass im Krisenland Venezuela die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal dieses Jahres um fast ein Drittel geschrumpft ist. Und Argentinien legte zwar um 5 Prozent zu, dies jedoch von dem niedrigen Niveau nach dem Währungscrash Ende 2001 ausgehend. Ergebnis: Zwischen Mexiko und Feuerland leben nur noch 270.000 Millionäre, 10.000 sanken unter die magische Grenze.

Die höchste Millionärsdichte findet man nicht in den Vereinigten Staaten, sondern in Europa. Dort profitierten die Reichen von der Aufwertung des Euro und des britischen Pfunds gegenüber dem Dollar. Ihr Reichtum mehrte sich sozusagen von selbst, schließlich geht es bei Cap Gemini und Merrill Lynch um Dollarmillionäre. In den USA hingegen ging die Zahl der Superreichen im letzten Jahr erstmals zurück. Ebenso schrumpfte dort der Gesamtbesitz der Dollarmillionäre – in allen anderen Regionen nahm er zu. Damit sind die USA zusammen mit den Lateinamerikanern Verlierer im Rennen um die meisten Millionen.

Erst gar nicht antreten würde Afrika, denn dort gibt es die wenigsten Millionäre – nur 100.000. Nur? Immerhin. Denn was Merrill Lynch und Cap Gemini nicht hinterfragen, und was ja auch nicht ihr Job ist, was aber die Leute von Social Watch sofort kombinieren würden: 100.000 mal eine Million ist eine Billion Dollar und damit hundertmal so viel wie die gesamte staatliche Entwicklungshilfe für Afrika.

Unter den Superreichen besitzen 90 Prozent zwischen 1 und 5 Millionen Dollar und nur 10 Prozent mehr als 5 Millionen Dollar. Weniger als 1 Prozent davon wiederum gehören zu den Ultrareichen, die mehr als 30 Millionen Dollar besitzen. 1 Prozent – das wären immer noch 73.000 Menschen, eine ganze deutsche Kleinstadt.

Dass die Zahl der Millionäre weltweit übrigens weniger stark als in früheren Jahren stieg, liegt vor allem an den sinkenden Börsenkursen. Cap Gemini Ernst & Young und Merrill Lynch haben daher auch festgestellt, dass die Risikobereitschaft wieder stark abnimmt. Die hatte 1999 ihren Höhepunkt erreicht, als der Börsenboom auch bei den kleinsten Unternehmen unglaubliche Gewinne versprach.

Die wirklich spannende Frage, wo die Millionäre ihre erste Million herhaben – denn die ist ja bekanntlich am schwersten zu machen – verschweigt die Studie leider. KATHARINA KOUFEN