„Gegen die Kreditgewinne ist Entwicklungshilfe doch ein Klacks“

Jens Martens, Mitherausgeber des Weltsozialberichts, sagt, netto seien in den letzten 5 Jahren 500 Milliarden Euro aus den Entwicklungsländern in die Industriestaaten geflossen

taz: Wie kann man die Ziele des Kopenhagener Weltsozialgipfels von 1995 noch erreichen?

Jens Martens: Die Industrieländer müssen ihre Versprechen einlösen und ihre Etats für Entwicklungshilfe so weit erhöhen, dass sie einen echten Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten.

Ist es nicht unrealistisch, dass etwa Deutschland bei der momentanen Haushaltslage seine Hilfen erhöht?

Doch, deshalb muss man andere Wege finden: Armen Ländern sollten zum Beispiel die Schulden gestrichen werden. Das ist nur unzureichend geschehen.

Dann müsste die Bundesregierung aber an anderen Stellen sparen.

Das ist nur eine Frage, was einer Regierung wichtig ist. Aus unserer Sicht setzt die Regierung Schröder falsche Prioritäten. Und: Beim Entwicklungshaushalt geht es vielleicht um 2 Milliarden Euro Steigerung – das sprengt den Gesamthaushalt nicht. Für manche Hilfen müsste nicht einmal der Staatshaushalt aufkommen, zum Beispiel für den Abbau von Agrarsubventionen. Außerdem sollte die Regierung sich mehr um die Einnahmeseite kümmern: Vermögensteuer, Erbschaftsteuer. Das müsste viel stärker diskutiert werden.

Geben andere Länder mehr Entwicklungshilfe?

Kaum. Es gibt nach wie vor einen finanziellen Nettotransfer aus den Entwicklungsländern in die reichen Länder: Insgesamt sind in den letzten fünf Jahren 500 Milliarden US-Dollar geflossen. Die reichen Länder erhalten aus den Entwicklungsländern Kreditzinsen und Gewinne aus Auslandsinvestitionen. Dagegen ist die Entwicklungshilfe, die umgekehrt fließt, doch ein Klacks.

Der Bericht von Social Watch kritisiert, dass die Ziele von Kopenhagen auch wegen des „Privatisierungstrends“ nicht erreicht werden. Warum?

Privatisierung hat durchgehend dazu geführt, dass sich die Preise erhöht haben und der Service schlechter wurde, insbesondere bei der Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung. Für die Reichen erhöht sich die Qualität, die Armen werden abgekoppelt.

Oft haben die Staaten als Dienstleister in den Entwicklungsländern versagt.

Trotzdem darf man daraus nicht folgern, dass Privatisierung der richtige Weg ist. Unsere Schlussfolgerung wäre: Die Staaten müssen in die Lage versetzt werden, Dienstleistungen wie die Versorgung mit Trinkwasser zu erbringen. Entwicklungshilfe muss an Regierungen gehen, nicht an private Unternehmen.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN