Gewalt in Nigeria weitet sich aus

Angeblich 400 Tote bei muslimischen Angriffen in der Metropole Kano. Pogrom ist Rache für Massaker Anfang Mai

BERLIN taz ■ Tausende von Menschen sind in der nordnigerianischen Metropole Kano auf der Flucht, nachdem militante muslimische Jugendliche am Dienstag und Mittwoch Jagd auf Christen und Zuwanderer aus anderen Teilen Nigerias gemacht hatten. Bei der Gewalt wurden nach Angaben des Dachverbandes nigerianischer Christen CAN mindestens 400 Menschen getötet. Die Provinzregierung von Kano sprach von rund 30 Toten. Im Militärhauptquartier von Kano haben laut Staatsrundfunk 10.000 Menschen Schutz gesucht.

Die Angriffe folgten auf eine Demonstrationen von Muslimen in Kano gegen die Gewalt christlicher Milizen in Yelwa im zentralnigerianischen Bundesstaat Plateau. Dort waren Anfang Mai bei einer Serie von Angriffen über 630 Muslime massakriert worden. Bürgerrechtler sprachen von „gezielter ethnischer Säuberung“.

Dass auf die Massaker in Plateau jetzt Racheakte in Kano folgten, nährt in Nigeria Angst vor einem Flächenbrand der Gewalt. Gerüchte über Vorbereitungen neuer Pogrome zirkulieren in verschiedenen Städten Nigerias. Die politischen Spannungen in Nigeria wachsen seit den Wahlen vom vergangenen Jahr, bei denen die konservative Opposition den Wahlsieg des Präsidenten Obasanjo nicht anerkannte. Proteste gegen die angebliche Wahlmanipulation wurden erst Anfang Mai in Nigerias Hauptstadt Abuja rigoros unterbunden. Dass die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung sich seit der Demokratisierung 1999 weiter verschlechtert hat, nährt soziale und politische Spannungen. Immer häufiger wird in nigerianischen Zeitungen spekuliert, die 1999 eingeführte Demokratie gehe ihrem Ende zu.

Das erklärt, warum die Regierung die neue Gewalt sehr ernst nimmt. Nigerias Bundespolizei erklärte am Mittwoch, sie gebe allen „Unruhestiftern“ eine „letzte Warnung“. In Kano haben Polizei und Militär den Befehl, ohne Vorwarnung auf Gewalttäter das Feuer zu eröffnen. Eine Ausgangssperre gilt von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. In Nigerias größter Stadt Lagos planen prominente Politiker und Intellektuelle, die der Regierung Untätigkeit gegenüber ethnischer Gewalt vorwerfen, ein Gipfeltreffen, um eigene Ideen für die Befriedung Nigerias zu entwickeln und sich rechtzeitig für einen möglichen Zusammenbruch der Demokratie zu wappnen. DOMINIC JOHNSON