Antizipierte Selbstdarstellung

Von Fließband zu Fließband: Im Film „Standing In The Shadows Of Motown“ werden die Probleme des straffen Fordismus in der Schallplattenschmiede und dem bürgerrechtlichen Ansatz „Black owned Business“ nur in Ansätzen dokumentiert

von LARS BULNHEIM

Jeder kennt The Four Tops, The Supremes oder The Tempetations, aber niemand die Musiker, die all die klassischen Soul-Songs eingespielt haben. Das hehre Anliegen von Standing In The Shadow Of Motown ist es, den „Arbeitern“ der Hitfabrik ein Gesicht zu geben, was ihnen in dem Star-System von Motown nicht vergönnt war.

Straff hierarchisch organisiert, eingeteilt in miteinander konkurrierenden kreativen Zellen, die für Songwriting, Texte, Produktion und das Einspielen der Titel verantwortlich waren, baute der ehemalige Fließbandarbeiter Berry Gordy ein musikalisches Imperium auf, das unter dem Namen Motown zum Synonym für urbanen Soul der 60er Jahre wurde. Schon der Name war genial: Motown! Ein Wortspiel, dass genauso für „Motor Town“, in Anlehnung an die blühende Automobilindustrie Detroits gelesen werden kann, als auch „Mo` Town“, was sich mit „Mehr Urbanismus“ kaum zureichend übersetzen lässt.

Detroit steht für die Geschichte der Industrialisierung der USA. Henry Ford führte hier die Fließbandarbeit ein, massenhaft zogen afroamerikanische Landarbeiter aus dem verarmten Süden in den mittleren Westen. Detroit wurde zur Parade-Stadt des „New Deal“; was als Frontbegradigung der Klassengegensätze funktionierte, hielt für einige Jahrzehnte auch die ethnischen Minderheiten im Zaum.

Wo Geld verdient wird, will man sich amüsieren und so entstand nach dem Zweiten Weltkrieg ein Netzwerk von Jazz- und Blues-Clubs. Aus diesem unerschöpflichen Reservoir an fantastischen Musikern rekrutierte Berry Gordy die Backingband für sein Motown-Label.

Gordy führte den Fordismus in die Schallplattenproduktion ein und erweiterte das Modell, indem er das Bild einer Familie – der Motown-Family – auf seine Firma anwendete, sogar zur Antizipation der New Economy. Er wurde zum Aushängeschild des von Bürgerrechtlern geforderten „Black owned Business“.

Und so darf man einen Film entlang dem Klassentreffen greiser Musikanten, die sich The Funk Brothers nannten, beiwohnen. Sie erinnern sich an lustige Streiche genauso gern, wie an die musikalischen Talente ihrer Kollegen. Ein parallel geschnittenes Konzert der Überlebenden, bei dem Gaststars wie Ben Harper, Bootsy Collins und Chaka Khan Motown-Klassiker interpretieren, lässt erahnen was da auf uns zukommt: Buena Vista Social Club, ick hör dir trapsen: Alsterradio präsentiert die Funk Brothers im Stadtpark.

Wenn dann noch die lebhaften Erinnerungen der Musiker mit fiktiven Szenen der Detroiter-Ghetto-Riots quergeschnitten werden und Chaka Khans Neufassung von Marvin Gayes „What`s Going On“ mit Original-Bildern vom Vietnam-Krieg unterlegt wird – als ob Marvins Frage an Aktualität verloren hätte – fragt man sich, welche Auffassung Regisseur Paul Justman vom dokumentarischen Ziel seines Vorhabens hatte. Bezeichnend ist die wohl stärkste Szene, als Neo-Soul-Star Me`Shell NdegoOcello den weißen Bassisten Bob Babbitt nach der Stimmung unter den Musikern in Folge der Ermordung Martin Luther Kings befragt. „Gab es Anfeindungen gegen dich als Weißen?“, „Nein, Nein!“, stammelt Babbit, „Wir waren wie Brüder“ und bricht in Tränen aus. Man ahnt, dass nicht alles Gold war, was in Standing in The Shadows Of Motown glänzen soll.

Dennoch, der Film bietet Musik-Nerds jede Menge Futter. Oder wusste jemand, dass Bassisten-Legende James Jameson bei den Aufnahmen zu „What`s Going On“ so besoffen war, dass er seine Parts im Liegen einspielen musste? Der Film versucht sich an der Legendenbildung, schafft es aber nicht die rosarote Brille abzusetzen. Vieles wird angedeutet, aber nichts ausgesprochen: Wenn von den kargen Löhnen der Musiker die Rede ist; von dem Spitzelsystem, dass die Musiker fest an Motown binden sollte oder vom Umzug der Firma, der über Nacht alle Protagonisten zu Arbeitslosen machte.

Berry Gordys Beitrag zu diesem Film ist die rechtliche Freigabe aller Songs. Es scheint, als hätten die Produzenten die Darstellung seiner Person als „Big Daddy“ von Detroit als Gegenleistung vereinbart. Und wenn zum Finale das wohl inbrünstigste Liebeslied aller Zeiten, „Ain`t No Mountain High Enough“, von Chaka Khan und Montell Jordan gesungen, in einem musicalmäßigen Chor ersäuft, ist man froh, dass eineinhalb Stunden Walking Down The Memory Lane mit einem fidelen Altersheim vorbei sind.

Preview: Dienstag, 22.30 Uhr, Abaton; der Film startet am 3.7.