Handfeste Folgen eines Todesfalls

Bremens „Umgang mit gefährlich psychisch Kranken“ nimmt Formen an: Polizei erweitert Spektrum und informiert Zuständige. Kranke sollen bald auch ambulant zwangsweise Medikamente kriegen. Das jedoch, kritisieren Fachleute, nütze keinem

Bremen taz ■ Zwei Polizisten halten eine Frau fest, sie kriegt von einem Arzt eine Spritze, obwohl sie sich heftig wehrt. All das passiert in ihrer Wohnung – eine Szene, die sich so oder vielleicht ganz anders abspielen wird, wenn sie Wirklichkeit wird. Klar ist nur: Wer psychisch krank ist, andere oder sich selbst gefährdet und sich nicht behandeln lassen will, dem sollen, nach Gerichtsbeschluss, künftig auch ambulant Medikamente zwangsweise verabreicht werden können. Bisher ist nur die Zwangseinweisung in die Psychiatrie möglich. Das soll bis zum Herbst Gesetz werden und wäre dann eine von vielen handfesten Folgen des Todes einer jungen Frau, die im vergangenen Juli von ihrer psychisch kranken Nachbarin getötet wurde – und das, obwohl das Opfer zuvor die Polizei von der Bedrohung informiert hatte, obwohl die Täterin mehrfach als gewalttätig aufgefallen und ihre psychische Erkrankung bekannt war, nur eben nicht der Polizei.

Eine Arbeitsgruppe zum Thema „Umgang mit gefährlich psychisch Kranken“ arbeitet seither genau daran und erstellte im Dezember einen Zwischenbericht. Gestern erläuterte Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) und die Arbeitsgruppenteilnehmer, wie weit die Dezember-Empfehlungen umgesetzt sind.

Im Formularreich der Polizei gibt es inzwischen einen neuen Vordruck, den die Beamten bei Vorfällen im Zusammenhang mit psychischen Auffälligkeiten an die psychiatrischen Behandlungszentren und den Krisendienst schicken. Es gibt neue „Deliktschlüsselnummern“, neue Posten in der Definitionsliste der Delikte. Dazu zählen jetzt auch Vorfälle mit Menschen, die bereits per Gerichtsbeschluss in die Psychiatrie eingewiesen worden und der Polizei mehr als einmal aufgefallen sind. Auch Vorfälle mit „psychischer Auffälligkeit, die noch nicht attestiert ist“, gehören zu der neuen Kategorie. Das heißt, wenn ein Polizist glaubt, ein Beteiligter eines Vorfalls könnte psychisch krank sein, wird der Vorfall unter der neuen Deliktkategorie erfasst. Parallel dazu werden die zuständigen Stellen informiert.

Bei der Veränderung des „Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten“ (PsychKG) hin zur ambulanten Zwangsmedikation liegt Bremen bundesweit vorn – und wird von den Betroffenenverbänden scharf kritisiert.

Denn aus ihrer Sicht unterläuft Bremen den bundesweiten Diskussionsstand. Die Bundesregierung hat sich nämlich gegen eine Verankerung ambulanter Zwangsmedikation im Betreuungsgesetz ausgesprochen. Während das Betreuungsgesetz, das Vormundschaft regelt, Bundessache ist, liegt das PsychKG in Landeshänden. Wenn der Bund sich also gegen eine ambulante Zwangsmedikation ausspricht, können die Länder sie durch die PsychKGs immer noch einführen. Bremen begründet ihre Notwendigkeit mit dem Ziel, nicht nur die Kranken, sondern vor allem Dritte schützen zu müssen. So sei eine akute Situation zu deeskalieren, ohne dass der Kranke immer gleich in die Psychiatrie müsse. „Der Vorteil ist, dass man vor einer Eskalation tätig werden kann“, erklärte gestern Günter Mosch aus dem Sozialressort.

Skeptisch sieht das der Grüne Matthias Güldner. Vor einer Gesetzesänderung „müssen Fachleute darlegen, wie eine solche zwangsweise Medikamentengabe in der Praxis durchgeführt werden soll“, forderte er.

Viel grundsätzlicher sind die Bedenken, die in der Diskussion auf Bundesebene zählen. „Die Zuführung zur ambulanten Zwangsbehandlung hat schwerwiegende Traumatisierungen zur Folge, denn Zwang kann niemals Heilung bedeuten“, so formulierte der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener seine Kritik. Das neue Trauma überdecke das der Erkrankung zugrunde liegende und mache seine Aufarbeitung umso schwerer oder gar unmöglich, das so wichtige Vertrauenverhältnis Arzt-Patient sei untergraben. Das nutze weder den Betroffenen noch der Gesellschaft. Susanne Gieffers