Stolpern über Schicksale

Der Kölner Künstler Gunter Demnig will die Opfer des Holocaust mit seinen kleinen, oft erst auf den zweiten Blick erkennbaren Gedenksteinen wieder „dorthin zurückbringen, wo sie einmal lebten“

Von Stefanie Liebl

Ein Schriftzug ziert zwei kleine, mit goldenen Messingtafeln abgedeckte Betonsteine: „Hier lebten Elsa Reichhardt, Max Reichhardt – 1941 ermordet in Auschwitz“. Mit diesen Gedenksteinen will der Kölner Künstler Gunter Demnig an ein jüdisches Ehepaar erinnern, das bis zum Tage seiner Deportation in Köln sein Zuhause hatte. Hunderte solcher „Stolpersteine“ hat er in Köln schon vor den ehemaligen Wohnsitzen von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in den Bürgersteigen eingelassen. Doch diese zwei sind eine besondere Herausforderung: „Eigentlich müsste ich sie direkt ins Foyer des WDR-Gebäudes legen, weil das der genaue Ort ist, wo damals das Haus der Familie Reichhardt in der Kupfergasse stand.“

Als sein „aufwändigstes“ Projekt bezeichnet Gunter Demnig dieses Vorhaben. Ob sich seine Idee jedoch so verwirklich lässt, ist noch ungewiss. „Sicher ist nur, dass wir einen würdigen Ort für meine ,Stolpersteine‘ finden werden – da sind sich der Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Fritz Pleitgen, und ich einig“, so Demnig. Bis zum Juli will der Künstler die Erinnerungstafeln der Eheleute Reichhardt in die Kupfergasse bringen und dort eigenhändig in den Boden klopfen.

Nadeln im Stadtplan

„Durch diese Arbeit habe ich das Gefühl, die Menschen symbolisch an den Ort zurückzubringen, wo sie einmal gelebt haben“, meint er zu diesem Prozess. Mit 100 weiteren „Stolpersteinen“, die bis zum Spätsommer in Köln verlegt werden sollen, will Demnig den Opfern des Holocaust in seiner Wahlheimat ein Stück Identität zurück geben. Ein großes Projekt. Doch das wirkliche Ausmaß seines Schaffens wird einem erst bei einem genauen Blick ins Atelier des Kölner Künstlers, der in Berlin und Kassel studierte, bewusst.

Unzählige rote Nadeln hat Gunter Demnig dort in einen großen Kölner Stadtplan gesteckt. Sie markieren Wohnorte von Menschen jüdischen Glaubens und auch Gegner des Naziregimes, die bis zum Tage ihrer Deportation in Köln eine Heimat, Nachbarn und ein Leben hatten. An all diesen auf der Karte so anonym wirkenden Plätzen hat Demnig jedem einzelnen Opfer mit einem „Stolperstein“ schon ein ganz persönliches Denkmal gesetzt. Dass er nicht allen ein solches Denkmal setzen kann, weiß er allerdings auch.

Erinnerungsarbeit

Über 3.500 Steine hat er inzwischen gefertigt und in ganz Deutschland verlegt. Eigenhändig, denn diese Gedenktafel sind „seine Kinder“, wie er sie nennt. Eine Lebensaufgabe, dessen ist sich der Künstler voll bewusst.

In jeden Gedenkstein und in jede Messingtafel hat Gunter Demnig mit Hammer und Schlagbuchstaben nicht nur Namen und Schicksal jedes einzelnen Opfers hinein graviert, sondern auch ein Stück von sich selbst mit „eingestanzt“. Seine von harter Arbeit gezeichneten Künstlerhände legen davon Zeugnis ab.

Angefangen hat der 57-Jährige, der sich in seiner Kunst immer wieder mit Geschichte und Erinnerung auseinandersetzt, sein Projekt im Jahre 1996 mit einer Schenkung von 500 „Stolpersteinen“ an die Stadt Köln. Drei Jahre später gaben die Behörden grünes Licht unter der Bedingung, dass keine Kosten für die Stadt entstehen dürften.

Inzwischen hat sich Demnigs Erinnerungsarbeit weit über die Kölner Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen und wird von Spenden, Paten oder dem Künstler selbst finanziert. So fährt er heute mit seinem roten Lieferwagen durch ganz Deutschland, um seine „Stolpersteine“ an die verschiedensten Orte zu bringen. Von Leipzig nach Halle, von Halle nach Berlin und wieder zurück nach Köln in sein kleines Atelier. „Es rufen sogar Menschen aus Nordamerika, England, Südafrika oder Australien an, die einen Gedenkstein für ihre Angehörigen haben wollen, die während des Holocaust ermordet wurden“, erzählt der Künstler.

Doch der Kölner Gunter Demnig gibt sich bescheiden. „Letztens erzählte mir eine Frau aus Berlin, dass sie viermal einfach über meine Steine drüber gelaufen sei, bis sie schließlich mit den Augen „stolperte“, zu lesen begann und im Gedenken an das Opfer ein paar Minuten verweilte. Da wusste ich, dass sich die Arbeit gelohnt hat!“