Der Zuckerlobby die Zähne zeigen

Die Bundesregierung hat bewiesen, dass sie die Strukturen im Welthandel verändern kann. Das ist für Millionen von Bauern in der Welt wichtiger als die Entwicklungshilfe

Die Dumpingexporte der EU gefährden zehntausende von Arbeitsplätzen in den Entwicklungsländern

Die Reform der EU-Baumwollmarktordnung ist entwicklungs- und handelspolitisch ein großer Erfolg, an dem die deutsche Regierung einen maßgeblichen Anteil hat. Während Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) engagiert den afrikanischen Sahelstaaten in Cancún geholfen hat, das Thema der skandalösen Baumwollsubventionen auf die Tagesordnung der Öffentlichkeit, der EU und der WTO zu setzen, hat die grüne Agrarministerin Renate Künast im EU-Ministerrat für den Beschluss gefochten, die EU-Subventionen für Baumwolle zu 65 Prozent von der Produktion zu entkoppeln.

Es zeichnet sich ab, dass dieses neue Subventionsregime einen deutlichen Rückgang der EU-Baumwollproduktion zur Folge haben wird. Die Subventionen für den Baumwollanbau betrugen in der EU bis zu dem achtfachen dessen, was für andere Agrarprodukte gezahlt wurde. Insofern bietet die jetzt beschlossene Regelung für die Bauern große Anreize, auf eine weniger kostenträchtige landwirtschaftliche Produktion umzustellen.

Die EU-Baumwollproduktion beträgt zwar nur ein Viertel derjenigen der USA, macht aber immerhin knapp 20 Prozent der weltweit gehandelten Baumwolle aus. Afrika wird in Zukunft mehr Baumwolle in die EU exportieren können. Durch die Beschlüsse des EU-Ministerrats und durch die jüngste Entscheidung des WTO-Schiedsgerichts gegen die US-Baumwollsubventionen verstärkt sich zudem der Druck auf die amerikanische Regierung, in der laufenden WTO-Runde den Entwicklungsländern bei den Agrarsubventionen substantielle Kompromisse anbieten zu müssen.

Auch wenn es Künast und Wieczorek-Zeul nicht so geplant haben – im Ergebnis zeigt sich, dass eine geschlossen agierende Bundesregierung Strukturveränderungen im Welthandel bewirken kann. Das ist für Millionen von Bauern in der Welt wichtiger als der Streit um die eine oder andere Millionen im deutschen Entwicklungshilfeetat.

Nun war das Ringen um die EU-Baumwollsubventionen gewissermaßen nur die Pflichtübung, in der Kür müsste Deutschland jetzt zeigen, dass es auch dann für einen gerechten Welthandel eintritt, wenn es um die eigenen Bauern geht. Die EU-Zuckermarktordnung ist ähnlich skandalös wie es die US-Baumwollsubventionen sind. Nur profitieren in diesem Fall auch viele deutsche Bauern und die Zuckerrüben verarbeitenden Betriebe.

Die EU-Zuckermarktordnung garantiert den Bauern über ein planwirtschaftliches Produktionsquotensystem einen Abnahmepreis, der dreimal so hoch ist wie der Weltmarktpreis. Im Unterschied zu anderen landwirtschaftlichen Produkten wird der Bürger dabei nicht als Steuerzahler, sondern als Verbraucher geschröpft: Mit den Quoten wird der Preis künstlich hoch gehalten. Die bei den europäischen Verbrauchern erzielten Profite werden von der Zuckerindustrie dazu verwandt, die Überschussproduktion von fünf Millionen Tonnen so herunterzusubventionieren, dass sie zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen werden können, auf dem die EU nach Brasilien der zweitwichtigste Anbieter ist.

Dieses System hat für die meisten Entwicklungsländer katastrophale Folgen. So entgehen dem hoch verschuldeten Brasilien Jahr für Jahr ein bis zwei Milliarden Dollar an Exporterlösen. In vielen anderen Ländern, insbesondere Afrikas, gefährden die Dumpingexporte der EU zehntausende von Arbeitsplätzen in der Zuckerindustrie, die zwar zu niedrigeren Kosten als die EU-Bauern produzieren, aber mit den durch die EU heruntersubventionierten Weltmarktpreisen nicht mithalten können.

Während sich viele Industriezweige, wie die Textil- und Lederwarenindustrie, aber auch viele EU-Bauern in der Vergangenheit dem Strukturwandel stellen mussten – so sind zum Beispiel deutsche Gurkenanbauer aktuell mit indischer Konkurrenz konfrontiert –, hat es die mächtige Zuckerlobby bisher geschafft, ihre Privilegien zu verteidigen. Firmen wie Südzucker oder British Sugar realisieren Gewinnmargen, die deutlich über dem Durchschnitt der Nahrungsmittelindustrie liegen und ihnen bei der monopolartigen Durchdringung anderer Industriezweige ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Wer im Rheinland das Glück hat, Ackerland im Zuckerrübenrevier zu besitzen, darf sich zudem über Pachten freuen, die bis zu dem Doppelten dessen betragen, was anderenorts für Ackerland bezahlt wird. Das ärgert nicht zuletzt auch die vielen Bauern, die im Zuge der jüngsten EU-Agrarreformen massive Einbußen hinnehmen mussten, wie etwa die Milchbauern, die zurzeit keine kostendeckenden Preise mehr bekommen.

Dabei ist der gut organisierten Zuckerlobby – die zulasten der Verbraucher erwirtschaftete Monopolrente erlaubt die Finanzierung eines schlagkräftigen Apparats – kein Argument zu schade, wenn es um die Verteidigung des Status quo geht. So wird der Erhalt der öden und mit intensivster Chemie bearbeiteten Zuckerrübenfelder zu einer Kernfrage des Erhalts bäuerlicher Kulturlandschaften hochstilisiert. Die Zuckermarktordnung wird zu einem entwicklungspolitisch wertvollen Instrument deklariert, da die EU einigen wenigen und kleinen Ländern in Afrika und der Karibik begrenzte Einfuhrquoten zu den hohen EU- Binnenmarktpreisen gewährt, ein Anachronismus, der in Ländern wie Mauritius nicht nur den Strukturwandel behindert, sondern vielerlei Arten des Subventionsbetrugs ermöglicht.

Nicht zuletzt wirft die Zuckerrübenlobby der brasilianischen Zuckerindustrie unsoziale Arbeitsbedingungen vor. Aber so plausibel gerade das letzte Argument in den Ohren so manch eines Dritte-Welt-Bewegten klingt, es ist nur sehr bedingt richtig. Die brasilianische Zuckerindustrie befindet sich in einem tief greifenden Wandel. Insbesondere in der Region São Paulo sind moderne und effiziente Betriebe, die ihren Arbeitern auskömmliche Löhne, Fortbildungsmöglichkeiten und akzeptable Sozialleistungen bieten, stark im Vormarsch.

Die EU-Zuckermarktordnung ist ähnlich skandalös wie die Subventionierung der Baumwolle in den USA

Die Argumente unserer Zuckerlobbyisten sind nicht plausibel, zudem gilt: Wenn es die EU schaffen würde, den Entwicklungsländern anzubieten, ihre Zuckerexporte innerhalb von fünf Jahren auf null herunterzufahren, wäre im Rahmen der WTO vermutlich der entscheidende Durchbruch geschafft. Die USA stünden dann noch stärker unter Zugzwang.

Da sich CDU und FDP entschlossen haben, in der Zuckerfrage den planwirtschaftlichen Status quo zu verteidigen – das ist der Kern der im Bundesrat verabschiedeten Resolution zur Zuckermarktordnung –, und da das Bundeswirtschaftsministerium wenig Anstrengungen unternimmt, die WTO-Verhandlungen wieder flottzubekommen, bietet sich jetzt erneut für Wieczorek-Zeul und Künast die Chance, gemeinsam aktiv zu werden. Das wäre nicht nur im Interesse der Entwicklungsländer, sondern auch im Interesse des Exportweltmeisters Deutschland.

ROGER PELTZER