Verzerrtes Heldengesicht

Bilder vom grausamen Riss im Gewöhnlichen, den der Krieg darstellt: Der russische Kinoklub zeigt im Metropolis mit Semjon Aranowitschs „Torpedoflieger“ von 1983 einen weiteren Film aus den St. Petersburger Lenfilm-Studios.

von JAKOB HESLER

Ein junges Paar im Bett. Der Mann möchte mit seiner Frau schlafen. Sie verweigert sich, weil das Baby wach ist. Später, im Gehen, meint er zu ihr: Es könnte die letzte Gelegenheit gewesen sein. Wer weiß, wann ich abgeschossen werde? Der Mann ist Marinepilot. Beim nächsten Einsatz wird er abgeschossen.

Torpedoflieger (1983) von Semjon Aranowitsch erzählt von den Opfern bei der Verteidigung der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Der Film reiht Episoden aus dem Alltag in einem verschneiten Luftwaffenstützpunkt; dazu gehören zwar die archetypischen Opferszenen des Kriegsfilmgenres – Untreue in der Liebe, Zerstörung der Familie usw. – ebenso wie außergewöhnlichen Heroismus in den Kampfsequenzen. Doch die Verflechtung all dessen ins Alltägliche zeigt den grausamen Riss ins Gewöhnliche, den der Krieg darstellt.

Die Männer vertreiben sich die Zeit mit Leibesübungen, trainieren mit selbstgebauten Hanteln oder probieren aus, wer sich am längsten an einem Gürtel festbeißen kann. Sie lesen Briefe von Zuhause, machen Frauen den Hof, singen Soldatenlieder, trinken Wodka im Casino. Doch überall kommen die Spuren des Krieges wieder zum Vorschein.

Im Vorbeigehen zeigt die Kamera die Bilder toter Kameraden, mit denen die Wände des Casinos geschmückt sind. Als der Offizier Tscherepets (Alexej Zharkow) die angehimmelte Maria küssen möchte, weist sie ihn ab, weil sie Liebe auf Urlaubsschein satt hat. Als der Offizier Bolobrov (Rodion Nachapetow) nach Monaten wieder im Stützpunkt auftaucht und erfährt, dass seine einstige Freundin einen anderen geheiratet hat, kann er das Zucken seiner Mundwinkel nicht länger unterdrücken, das ihn seit seiner Verwundung begleitet. Als er dieser Frau später die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbringen soll, bekommt er kein Wort heraus.

Torpedoflieger trägt dieser Bände sprechenden Sprachlosigkeit gegenüber dem Kriegstod mit einem verstörenden Kniff auch in der eigenen Filmsprache Rechnung: In die dramatischen Kampfszenen sind immer wieder schwarz-weiße Dokumentaraufnahmen montiert. Sie fügen sich in die Handlung, es fliegen dieselben Flugzeugtypen, aber zugleich verfremdet dieser Einbruch geschichtlicher Faktizität die Identifikation mit den Filmhelden, die der Zuschauer eigentlich kämpfen sehen möchte. Der fragwürdige pyrotechnische Genuss gewöhnlicher Kriegsfilme wird unterlaufen.

Das hat den entgegengesetzten Effekt wie etwa die verwendeten Digitalanimationen in Filmen wie Pearl Harbor: Auch dort wird das Grauen technisch entfremdet – aber mit der Absicht, es konsumierbar wie ein Computerspiel zu machen. Darüber hinaus wechselt Torpedoflieger auch im eigenen Material nach Schwarz-Weiß oder wird von Standbildern unterbrochen: eine visuelle Dimension von Distanz und Erinnerung, wie sie im russischen Kino öfters auftaucht.

Torpedoflieger widersetzt sich nicht der offiziellen sowjetischen Geschichtsschreibung vom „Großen Vaterländischen Krieg“, die dessen Vorgeschichte ausblendet und die heroische Opferbereitschaft herausstreicht. Schon der disharmonische Orgel-Piano-Soundtrack lässt ahnen, dass solche ideologische Aneignung hier allenfalls noch ex negativo möglich ist. In den Kampfszenen wird es dann offenkundig, spätestens, wenn schließlich alle übrig gebliebenen männlichen Protagonisten sterben. Der heldenhafte Torpedoflieger ist ein verzerrtes Pilotengesicht, das „Attacke!“ brüllt und sein angeschossenes Flugzeug in ein feindliches Schiff steuert. Oder er ist eine verkohlende Leiche im brennenden Cockpit eines herrenlosen Marinebombers, der in stummer Agonie auseinander bricht. Wenn die Kamera zum Abschluss des Films in Fotografien der Verstorbenen hineinzoomt, bleibt nur stumme Trauer.

heute, 19 Uhr; So, 29.6., 17 Uhr, Metropolis